Globalisierung braucht Mitbestimmung
In der Weltpolitik zeichnet sich ein Trend ab: Die Halbwertzeit von Absprachen, Bündnissen und Verträgen wird immer kürzer – ob unter alten Partnern, die nolens volens zu Gegenspielern werden, oder bewährten Feinden, die erst wortreich geködert und anschließend weiter in die Ecke gedrängt werden. Schlag auf Schlag scheint sich die Eskalations- und Sanktionsspirale weiterzudrehen. Damit droht auch die globalisierte Weltwirtschaft, den ohnehin schon rutschigen Boden unter den Füßen zu verlieren. Da dürfte ruhig eine ketzerische Frage erlaubt sein: Ist die Globalisierung eigentlich am Ende? Die Antwort darauf fällt viel differenzierter aus, als die pauschale Formulierung es erlaubt. Dies hat auch der renommierte Wirtschaftshistoriker Prof. Werner Plumpe auf der VAA-Delegiertentagung Anfang Mai in Wiesbaden in unnachahmlicher Weise herausgestellt.
Zu Recht hat der ausgewiesene Handelsexperte Plumpe das nicht erst seit Jahrzehnten, sondern seit Jahrhunderten bestehende, fein austarierte und weltumspannende Netz an wirtschaftlichen Beziehungszusammenhängen erklärt. So schnell lässt sich die Welt nämlich nicht aus den Angeln heben. Aber trotzdem müssen gerade global agierende Unternehmen mehr dafür tun, um ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Ein Beispiel, wie dies funktionieren könnte, wird im Spezial im aktuellen VAA Magazin vorgestellt. Es geht um einen crossindustriellen, branchenübergreifenden Ansatz, um aus den bei der Stahlproduktion anfallenden Kuppelgasen Vorprodukte für Chemikalien herzustellen. Dabei besteht gleichzeitig das Potenzial, bereits in einem Zeitraum von etwa zehn bis 15 Jahren maßgeblich Kohlendioxid und fossile Rohstoffe wie Erdöl oder Erdgas einzusparen. Denn obwohl die etablierten Herstellungsprozesse für Chemie- oder Stahlendprodukte über Jahrzehnte bis ins Feinste optimiert worden sind, basieren sie immer noch auf einer fossilen Rohstoffbasis.
Mit dem neuen Branchenverbundansatz wird dagegen das industrielle Gesamtsystem betrachtet, um für die Zukunft nachhaltiger zu wirtschaften. Ein weiteres Plus: Gelingt das Experiment, so lässt sich dieser technologische Ansatz auch weltweit exportieren.
Globalisierung ist für den VAA ebenfalls wichtig, genauso wie die Frage nach ihren Auswirkungen auf die betriebliche Mitbestimmung: Immer öfter befassen sich Sprecherausschüsse und Betriebsräte mit Dingen, die in den Unternehmen von globalen Business Units vorbereitet und mit den Vorständen frühzeitig abgestimmt werden. Die lokalen Arbeitnehmervertretungen sind dadurch in die Entscheidungsprozesse nicht mehr richtig eingebunden. Mitbestimmung heißt aber, im Vorfeld mitzuwirken, bevor unverrückbare Tatsachen geschaffen werden! Deswegen hat der VAA als Gewerkschaft der außertariflichen Arbeitnehmer seine Kandidaten bei den Betriebsratswahlen 2018 in den Chemie- und Pharmaunternehmen mit aller Kraft unterstützt. Über die Ergebnisse der Wahlen informiert ein <link internal-link internal link in current>Artikel in diesem Newsletter. So viel vorweg: Fast überall konnten die Positionen gehalten oder ausgebaut werden. Nun gilt es für die neu gewählten Mandatsträger, den Enthusiasmus mitzunehmen und voll in die Betriebsratsarbeit einzusteigen.
Rainer Nachtrab ist seit 2017
1. Vorsitzender des VAA.