Europa vor der Wahl

So weit ist es noch nicht und so weit muss es auch nicht kommen. Vor allem dann nicht, wenn die noch immer große Familie der demokratischen Parteien auf die innere Bedrohung durch die Rechtsextremen hinweist. Diese stellen Rechtsstaat und Demokratie infrage, greifen die Unabhängigkeit von Justiz und Medien an und schrecken auch vor einem Eingriff in persönliche Freiheitsrechte nicht zurück, wenn sie von Deportationsplänen oder Remigration sprechen. Dass es zu diesem Anwachsen der extremen Parteien gekommen ist, hat viele Gründe. Geopolitische Veränderungen wie Krieg, Krisen und Migration haben Auswirkungen auf innenpolitische Stimmungen. Zeiten des Umbruchs und Übergangs sind herausfordernd und verängstigen die Bevölkerungen. Unsere Zivilgesellschaften erleben eine Krise, deren Intensität die der vergangenen Jahrzehnte übertrifft. Michael Vassiliadis von der IG BCE sagte kürzlich, der Gesellschaft sei der Spirit verloren gegangen. Der Sinn dafür, wofür die Industrie eigentlich da sei und welche Bedeutung sie nicht nur für Wohlstand und Arbeitsplätze habe.

Aber in den Gründen, die zur Gedankenlosigkeit im Umgang mit den Herausforderungen geführt haben, liegen auch die Antworten für die Bewältigung. Wir sind gefordert, den Dialog mit der Gesellschaft zu verstärken. Ihn offen und klar zu führen, Verantwortung zu zeigen und Orientierung zu geben. Rechtspopulisten und Rechtsextreme haben keine Lösungen für die Krisen. Im Gegenteil: Ihre Positionen führen zu Polarisierung und Gewalt, nach innen und nach außen. Wir sollten immer wieder darauf verweisen, dass man geopolitische Krisen auch dadurch meistern kann, indem man Initiativen für Handel und Investitionen stärkt und sie von der Politik einfordert.

Der BDI hat in seinen Empfehlungen für die kommende europäische Legislaturperiode zahlreiche Gebiete benannt, auf denen die EU vorankommen kann und muss. Dazu gehören eine neue Balance zwischen Nachhaltigkeitsanforderungen und strategischen Wirtschaftsinteressen, eine größere Geschlossenheit gegenüber Russland und China sowie eine aktivere EU-Nachbarschaftspolitik mit den östlichen Nachbarn. Der systemische Wettbewerb mit China und der Konflikt mit dem kriegerischen Aggressor Russland kann gewonnen werden. Aber nur dann, wenn die Europäer sich einig sind. Und der Sieg der Rechtsextremen in der kommenden Wahl zum Europäischen Parlament steht noch lange nicht fest. Dann nicht, wenn jeder Einzelne von uns sich engagiert.

Stephan Gilow
Hauptgeschäftsführer des VAA

Stephan Gilow

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