Industriepolitik: Das reicht so NICHT!
Im Rahmen unserer VAA-Jahreskonferenz konnten wir am 10. November 2023 den Exzellenzpreis unserer VAA Stiftung verleihen. Ich bin nach wie vor beeindruckt von der hohen Qualität der ausgezeichneten Promotionen und der brillanten Preisträger. Die chemisch-pharmazeutische Industrie braucht diese Exzellenz. Sie braucht mehr davon, weil die Chemie und auch die Pharmazie, aber nicht nur sie, vor Herausforderungen stehen, wie wir sie vielleicht in der Wirtschaftsgeschichte noch nie hatten. Wir bewegen uns als einzige westliche Nation in der Rezession und haben ein handfestes Demografieproblem. Wir haben eine schlechte Infrastruktur und eine lahme Verwaltung, die von Digitalisierung vielleicht noch nichts gehört hat. Viele Erfolgsfaktoren unseres Industrielands geraten derzeit ins Wanken: Die Innovationen lassen nach, Fachkräfte sind rar.
Das Geschäfts- und Wohlstandsmodell der Bundesrepublik aus billiger Energie aus Russland, großem Exportmarkt China und ausreichend vorhandenen Fachkräften verschwindet vor unser aller Augen. Gerade unsere Branche, die chemisch-pharmazeutische Industrie, leidet besonders unter den gestiegenen Preisen für Energie und Rohstoffe. Wir haben eine Situation, die von der Politik herbeigeführt wurde. Wir haben eine Lücke im Angebot gegenüber der Nachfrage. Das ist ein Versagen der Politik. Denn sie hat die Atomkraftwerke abgeschaltet und den Ausbau der Erneuerbaren nicht so forciert, wie sie es hätte tun müssen. Und sie hat den Netzausbau nicht ausreichend vorangetrieben und das Fracking von Gas verboten. Die Leidensgeschichte um den Industriestrompreis versinnbildlicht das ganze Elend dieser Ampel. Obwohl sich Wirtschaftsminister Robert Habeck und alle relevanten Akteure in der Chemieindustrie für diese Brücke einsetzten, hat es sechs Monate – ich wiederhole – sechs Monate gedauert, bis die Bundesregierung sich beim Thema Industriestrompreis in einem internen Kraftakt endlich auf einen Kompromiss geeinigt hat.
Die Einigung zur Senkung der Stromsteuer ist ein guter erster Schritt, der aber nicht ausreicht. Investoren blicken bei ihren Entscheidungen stets auf die lange Frist: Neue Anlagen werden über mehrere Jahre finanziert. Eine für zwei Jahre niedrigere Stromsteuer und die Verlängerung der Strompreiskompensation reichen angesichts der absehbar höheren Strompreise sicher nicht aus, um langfristige Planungssicherheit zu schaffen. Und so kommt der Verband der Chemischen Industrie zu einem harten Urteil: Das beschlossene Energiepaket erhält nur den Status quo. Es verbessert nicht die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Die dringend benötigte kurzfristige Brücke für energieintensive Unternehmen und damit der energiepolitische Befreiungsschlag bleiben leider aus. Die Maßnahmen werden den Wettbewerbsnachteil zu Regionen wie China oder USA nicht spürbar reduzieren. Diesem Urteil schließe ich mich an und die Teilnehmer der VAA-Jahreskonferenz haben ebenfalls ein klares Zeichen gesetzt: Ohne Transformationsstrompreis keine Transformation. Ohne Transformation keine Arbeitsplätze.
Deshalb muss die Politik weiter an der Zukunft des Standorts Deutschland arbeiten. Immerhin ist in diesem langen und zähen Kampf auch etwas anderes sehr deutlich geworden: Die FDP hat sich nicht für die Interessen unserer Branche eingesetzt, die Grünen dafür aber durchaus. Wirtschaftsminister Robert Habeck hat kürzlich seine Industriestrategie vorgestellt. Er setzt sich erfreulicherweise dafür ein, dass die industrielle Basis in Deutschland erhalten bleibt. Das ist der richtige Ansatz.
Dr. Birgit Schwab
1. Vorsitzende des VAA