Energiepreise: existenzielle Bedrohung für die Industrie in Deutschland
40 Cent – das war der durchschnittliche Preis, den Industriekunden im Juli 2022 laut dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft bei Neuabschlüssen für eine Kilowattstunde Strom zahlen mussten. Zum Vergleich: Im Jahresdurchschnitt 2021 waren es rund 21 Cent. In der Zwischenzeit hat sich die Lage weiter zugespitzt. In einer kürzlich veröffentlichen Umfrage des Bundesverbandes der Industrie bewertete ein Drittel der mittelständischen Industrieunternehmen – dem Rückgrat der deutschen Wirtschaft – die gestiegenen Preisen für Energie und Rohstoffe als existenzielle Herausforderung. Für unsere Branche gilt das in besonderer Weise, weil für die Chemie- und Pharmaunternehmen Strom und Gas Schlüsselfaktoren für die Produktion sind und sie außerdem in einem besonders starken internationalen Wettbewerb stehen.
Die Herausforderungen durch angespannte Lieferketten und den Fachkräftemangel kommen noch hinzu – und es entsteht eine Mischung, die den Industriestandort Deutschland an seine Grenzen führt. Die vielfältigen Ursachen sind hinlänglich bekannt, den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine als entscheidenden Katalysator gilt es aber gesondert zu erwähnen. Die Rahmenbedingungen haben sich dadurch sehr schnell zum Schlechteren verändert und der bisherige Fokus der politischen Maßnahmen auf die Privatverbraucher war sicher richtig. Der Staat muss zunächst dort helfen, wo die Not am größten ist.
Die meisten Verbraucher sind allerdings auch Beschäftigte und viele von denen, die es nicht sind, hängen auf die eine oder andere Art vom Steueraufkommen der arbeitenden Bevölkerung ab. Der Schutz des Wirtschaftsstandortes Deutschland und seiner Arbeitsplätze bedeutet also ebenfalls Schutz für sehr viele Menschen in unserer Gesellschaft.
Deshalb ist die Politik nun gefordert, schnell und unbürokratisch auch den Unternehmen zu helfen. Und natürlich müssen dabei Missbrauch und Mitnahmeeffekte so gut wie möglich verhindert werden. Der Zeitfaktor spielt jedoch ebenfalls eine Rolle. Denn jetzt ist nicht die Zeit für semantische Diskussionen darüber, ob ein Produktionsstopp mit einer Insolvenz gleichzusetzen ist oder der Kohleausstieg 2030 oder 2031 erreicht werden kann. Es ist an der Zeit, dass die politischen Parteien sich zusammenraufen und in einem überparteilichen Konsens zwischen Regierung und Opposition gemeinsam das Richtige für die Menschen in Deutschland tun: Die Gas- und Strompreise mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu deckeln und damit Verbrauchern wie Unternehmen eine stabile Perspektive für den Winter zu geben.
Dr. Birgit Schwab
1. Vorsitzende des VAA
