Mitten in der Zeitenwende
Die Welt befindet sich im Wandel und dieser Wandel ist anders. Für solche tiefgreifenden Veränderungen ist der Begriff der Zeitenwende geprägt worden. Er passt sehr gut. Und dennoch kann man die Enttäuschung nicht verbergen, dass die Ampelregierung, die diesen Begriff in die politische Diskussion brachte, mit ihren Handlungen weit hinter den damit geschürten Erwartungen zurückblieb.
Zur Zeitenwende kommt jetzt auch noch Donald Trump. Mit seiner Wahl zum Präsidenten der USA werden auf die ohnehin schon unter Druck stehende deutsche Wirtschaft ungemütliche Zeiten zukommen. Der chemischen Industrie ist klar: Das Geschäftsmodell, das jahrzehntelang so gut funktionierte, wird sich ändern müssen. Lange Zeit hat uns die industriebasierte und exportorientierte deutsche Volkswirtschaft an die Spitze der erfolgreichsten und wettbewerbsfähigsten Nationen gebracht und gehalten. Doch schon seit 2018 begann der Schrumpfungsprozess der Industrieproduktion, dessen Fortsetzung zu befürchten ist. Dazu tragen die angekündigten amerikanischen Strafzölle und geopolitische Krisen wie Russlands Krieg gegen die Ukraine genauso bei wie eine lahmende Weltkonjunktur.
Darüber hinaus hat die deutsche Wirtschaft international an Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft verloren. Zu diesem vom Institut der deutschen Wirtschaft getroffenen Befund kommen unzureichende private und öffentliche Investitionen als Bremse für Wachstum und Dynamik hinzu. Wie oft schon hat die chemische Industrie auf die schlechten Rahmenbedingungen in Deutschland hingewiesen, ohne dass dies in der Politik zum Handeln und Ergebnissen geführt hätte. Im internationalen Vergleich sind die Energiepreise zu hoch und die Infrastruktur zu schlecht. Eine Modernisierung bleibt aus. Dass die deutsch-amerikanischen Beziehungen sich weiter verschlechtern dürften, ist eine weitere Belastung. Trump wirft den Deutschen vor, von den USA mehr profitiert zu haben als andere Länder. Es habe seine wirtschaftliche Stärke genutzt, um in seine eigenen Sozialsysteme zu investieren und sich zum Beispiel bei der Verteidigung auf die USA verlassen.
Diese Kritik ist nicht unberechtigt. Sie wurde teilweise auch schon von Trumps Vorgängern vorgetragen, wenn auch nicht in dieser aggressiven Art und Weise. Es wird hohe Staatskunst erfordern, mit diesen Herausforderungen diplomatisch und zielführend umzugehen. Die war bei der Ampel nicht zu sehen. Moritz Schularick vom Kieler Institut für Weltwirtschaft spricht davon, dass Deutschland auf die massiven außenwirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Herausforderungen nicht vorbereitet sei. Er sieht unser Land im vielleicht schwierigsten Moment in der Geschichte der Bundesrepublik.
Die Politik der neuen Bundesregierung wird auf vielen Feldern mit großen Herausforderungen konfrontiert sein. Ob Migration, Handel, Technologie oder Verteidigung: Ein „Weiter so!“ wie in der Vergangenheit ist ausgeschlossen. Neben der äußeren Sicherheit ist eine neue Wirtschaftspolitik erforderlich. Sie kann nur den Schwerpunkt auf eine klare Angebotspolitik setzen. Wir brauchen dringend Investitionen und Innovationen, die überall wo möglich gezielt gefördert werden müssen.
Der Abbau der Bürokratie ist ein Mantra, das die chemisch-pharmazeutische Industrie immer wieder vorgetragen hat. Die Chance, gehört zu werden, dürften sich mit der neuen Bundesregierung verbessern. Auch niedrigere Energiekosten und der Abbau von steuerlichen Belastungen für Unternehmen gehören schon seit Jahren zum Forderungskatalog unserer Branche.
Hoffen wir, dass geopolitischer Druck von außen und wirtschaftlicher Druck von innen einen Mentalitätswandel in Politik und Gesellschaft erzeugen, der den Standort Deutschland wieder wettbewerbsfähig macht.
Dr. Birgit Schwab
1. Vorsitzende des VAA