„Col lavoro non si gioca“ – mit Arbeit spielt man nicht
Mit Arbeit spielt man nicht. Mit dieser Aussage kritisierte Papst Franziskus am 3. September 2014 den Stahl- und Industriegüterkonzern Thyssenkrupp, der angekündigt hatte, in seinem italienischen Werk interne Stellen zu streichen. Und er wurde noch deutlicher: Wer Arbeitsplätze streiche, um mehr Geld zu verdienen, der nehme den Menschen ihre Würde.
Aber ist das richtig, fragt sich der Bonner Professor Gregor Thüsing in seinem 2015 erschienenen Buch „Mit Arbeit spielt man nicht“? Wenn Arbeitgeber Arbeitsplätze schaffen, um Geld zu verdienen: Ist es da nicht auch legitim, sie abzubauen, wenn sie nicht mehr profitabel sind? Das Thema ist von beinahe zeitloser Aktualität. Abhandlungen über eine bessere Wirtschaftsordnung haben ganze Bibliotheken gefüllt. Auch Thüsings Überlegungen greifen weit aus. Er thematisiert Regeln für eine bessere Arbeitsmarktordnung. Mindestlohn, Frauenquoten, Rente mit 63, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die soziale Dimension Europas und vieles andere mehr. Besondere Aufmerksamkeit schenkt er einem allerdings sehr wichtigen Teilbereich der Wirtschaftsordnung, nämlich dem Arbeitsrecht. Das Buch nimmt Stellung zur Bedeutung der Arbeit in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung. Er bezieht dabei insbesondere die Überlegungen der Katholischen Soziallehre in die aktuelle Diskussion ein.
Papst Franziskus sprach 2013 in seinem Apostolischen Sendschreiben Evangelii gaudium von einer Wirtschaft ohne Gesicht, die in einer verselbstständigten Ordnung ohne ein wirkliches menschliches Ziel bestehe. Wo die Wirtschaft kein Gesicht habe, verliere sie den Blick auf den Menschen. Sie stehe in der Gefahr, den Vorrang des Menschen zu leugnen, indem sie nicht der gerechten Verteilung von Gütern dient, sondern selbst Zweck nach eigener Gesetzlichkeit wird. Der Papst folgert daher, dass wir nicht mehr auf die blinden Kräfte und die unsichtbare Hand des Marktes vertrauen dürfen. Das Wachstum in Gerechtigkeit erfordere etwas, das mehr ist als Wirtschaftswachstum, auch wenn es dieses voraussetze.
Thüsing differenziert: Er gibt dem Papst recht, wenn er seine tiefe Besorgnis über die schlimme Situation vieler von Arbeitslosigkeit betroffener Familien formuliert. Er sagt aber auch, dass eine solche Sicht präzisiert werden müsse. Er stimmt dem Papst zu, dass Arbeit zentral für den Menschen sei. Sie gebe ihm Würde, Ansehen und Einkommen. Auch dass die gesellschaftliche Verantwortung eines Unternehmens sich im Handeln des Unternehmens gegenüber seinen Mitarbeitern zeige, sei richtig. Das habe aber auch schon das Bundesarbeitsgericht vor mehr als 30 Jahren ähnlich formuliert. Eine Rechtsordnung darf diese Verantwortung einfordern. Der Staat ginge im Verständnis seiner Verantwortung sogar weiter: Er habe eine Verantwortung, Rahmenbedingungen guter Arbeit zu gewährleisten.
Eine gerechte Arbeitspolitik sei eine Verfassungserwartung, die sehr konkret werden kann. Es gebe einen verfassungsrechtlich gebotenen Mindestschutz des Arbeitsplatzes vor Verlust durch private Disposition, die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit habe Verfassungsrang. Das Sozialstaatsprinzip enthalte einen Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber. Es verpflichte ihn, für den Ausgleich der sozialen Gegensätze zu sorgen. Stoßen also Kirche und Staat ins gleiche Horn? Nicht ganz. Vor allem dann nicht, wenn es um die konkrete Umsetzung des Ausgleichs zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen geht. Hier muss auch das Arbeitsrecht seinen Beitrag leisten. Das Arbeitsrecht ordnet das Arbeitsleben. Es bildet den Rahmen, in dem Arbeit stattfindet. Und die Mitbestimmung überwindet den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital.
Für diese Umsetzung des Ausgleichs und für die Ausschöpfung des Rahmens ist die katholische Soziallehre nicht ausreichend. Das Ringen um die richtige Balance in der Ordnung der Arbeit gehe nicht auf im Schutz der Menschenwürde, formuliert Thüsing. So komme vor allem beim Kündigungsschutz das Arbeitsrecht ins Spiel, das im Zweifel hilfreicher, besser und konkreter ist, wenn es darum geht, den Mittelweg zwischen Arbeitgeber-, Arbeitnehmer- und Gemeininteressen zu finden, als der Aufruf, den Menschen in den Mittelpunkt auch des unternehmerischen Handels zu stellen. Bei der Auslegung des Kündigungsschutzes könne das Argument der Würde des Menschen zweckentfremdet sein. Bei der Ausgestaltung des Arbeitsrechts gebe es allerdings großes Verbesserungspotenzial, so Thüsing. Und wer wollte ihm da widersprechen? Wenn die Grenze zwischen der Wahrung von Arbeitnehmerinteressen und dem beschäftigungspolitisch gewollten Verzicht auf ihren Schutz im Ungefähren liege, so liege das auch am mangelnden Mut des Gesetzgebers, sich deutlicher zu den Aufgaben des Arbeitsrechts zu bekennen. Habe er den nicht, werde aus Arbeitsrecht ein Richterrecht und der Richter zum wahren Herrn des Arbeitsrechts.
Die Politik fordert Thüsing auf, ihren Gestaltungsspielraum zu nutzen. Ziel sei nicht die einseitige Übervorteilung des Arbeitnehmers oder des Arbeitgebers, sondern eine neue, beschäftigungsfreundliche, sozial ausgewogene Balance im Arbeitsrecht. Das ist nicht nur richtig, sondern heute so aktuell wie damals.
Gerhard Kronisch, Hauptgeschäftsführer des VAA