Corona und die neue Arbeitswelt: Homeoffice ist kein Wundermittel
Zu den vielen Dingen, die sich durch die COVID-19-Pandemie verändert haben, gehört in der Arbeitswelt die plötzliche Allgegenwart einer Arbeitsform, die zwar bereits vor der Pandemie im Kommen, bis dahin aber eher Ausnahme als Regel war: das Arbeiten von zu Hause aus, im Idealfall angebunden an die betrieblichen IT-Systeme. Homeoffice – manche verwenden auch den übergeordneten Begriff Mobiles Arbeiten – gilt als geeignetes Mittel, um bei hohen Infektionszahlen persönliche Kontakte im Büro zu meiden, ohne das Arbeiten gleich ganz einstellen zu müssen. Mitunter werden der Arbeit aus den eigenen vier Wänden zudem positive Auswirkungen auf Produktivität und Arbeitszufriedenheit zugeschrieben. Der Boom des Homeoffice – teilweise wurden und werden ja ganze Belegschaften geradezu aus den Betrieben nach Hause verbannt – stellt sich also auf den ersten Blick als klassische Win-win-Situation dar: Die Ansteckungsrisiken werden minimiert, die Arbeitnehmer arbeiten glücklich und zufrieden von zu Hause aus und können im Idealfall die Kinderbetreuung gleich miterledigen, wenn Kita und Schule geschlossen sind. Den früher eingewandten Nachteilen dieser Form des Arbeitens für die Zusammenarbeit mit Kollegen werden die inzwischen deutlich verbesserten und ebenfalls boomenden Videokonferenz-Tools entgegengehalten.
Doch wie bei allen Wundermitteln ist aus meiner Sicht auch hier Skepsis angebracht. Um es gleich vorweg zu nehmen: Dass Menschen mit erhöhtem Gesundheitsrisiko bei hohen Corona-Infektionszahlen das Büro meiden und von zu Hause aus arbeiten, finde ich absolut richtig. Und dass Arbeitnehmer mit Kindern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei geschlossenen Kitas und Schulen nur so bewältigen konnten, liegt für mich ebenfalls auf der Hand. Doch wer infrage stellt, ob in Post-Corona-Zeiten überhaupt noch Büros gebraucht werden, weil sich während des Lockdowns ja gezeigt habe, dass es auch ohne geht, sollte einmal die Kehrseite der Medaille in den Blick nehmen.
Natürlich lassen sich Job und Familie leichter unter einen Hut bringen, wenn die Präsenzpflicht am Arbeitsplatz und Pendelzeiten entfallen. Aber wenn sich der dreijährige Sohn den Kopf stößt oder die vierjährige Tochter ein Marmeladenbrot möchte, während in der Telefon- oder – schlimmer noch – in der Videokonferenz 15 Kollegen und der Vorgesetzte auf einen geistreichen Beitrag warten, stößt die Vereinbarkeit auch schnell an Grenzen. Effizienzvorteile bei der Heimarbeit durch den Wegfall des Smalltalks mit Kollegen wiederum können schnell durch Schäden an der Unternehmenskultur aufgefressen werden, wenn diese informelle Art des Austausches komplett auf der Strecke bleibt. Gerade die zu Recht als wichtig erachteten Innovationen entstehen in aller Regel durch lebhafte Diskussionen und persönlichen Austausch. Ebenso ungelöst sind auch die Probleme, die durch das Aufweichen der Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben entstehen. Es mag den einen oder anderen Mitarbeiter geben, der zu Hause zu viele und zu lange Pausen macht. Kritischer sind aber die Fälle, in denen das Gefühl der ständigen Erreichbarkeit und die fehlende Selbstdisziplin beim „Abschalten“ Arbeitnehmer dauerhaft belasten und schließlich sogar krankmachen.
Wenn das Coronavirus besiegt und die umfassende Nutzung des Homeoffice aus epidemiologischer Sicht nicht mehr geboten ist, sollten wir deshalb genau überlegen, welche Vorteile der neuen Arbeitswelt wir weiterhin nutzen können und wollen – und wo es sinnvoller ist, auf lange bewährte Konzepte zurückzugreifen. Der VAA wird seinen Beitrag dazu leisten, diese wichtige Diskussion im Sinne der Arbeitnehmer mitzugestalten. Zumal auch für die Arbeitnehmervertreter der Austausch in Präsenzform wichtig ist. Arbeitgeber dürfen nicht auf die Idee kommen, Betriebsräte und Sprecherauschüsse auf die rein virtuelle Sitzungsweise zu verpflichten. Für beide Aspekte gilt aus meiner persönlichen Sicht: Die richtige Mischung macht‘s.
Gerhard Kronisch, Hauptgeschäftsführer des VAA