Energiewende: Ohne Netzausbau droht Scheitern
Für den Erfolg der Energiewende sind der Netzausbau, die Modernisierung des Kraftwerksparks und die Schaffung von ausreichend Speicherkapazität entscheidend. Das Expertenurteil einer energiepolitischen Diskussion am Vorabend der VAA-Delegiertentagung fiel
Mit dem Tempo des Netzausbaus steht und fällt die Energiewende. Nicht nur in diesem Punkt waren sich die Podiumsteilnehmer einig. Zu Beginn der vom ZDF-Journalisten Dr. Norbert Lehmann moderierten Diskussion bedauerte das Vorstandsmitglied von Bayer MaterialScience Dr. Tony Van Osselaer, dass der Dialog von Politik und Wirtschaft nicht zielgerichtet in Gang komme: „Wir haben losgelegt, aber wir wissen nicht, auf welcher Straße wir sind.“ Er warnte die Politik davor, die Industrie auf dem Weg nicht zu verlieren.
„Das Grundprinzip der Energiewende ist Energieeffizienz“, gab dena-Geschäftsführer Stephan Kohler vor Delegierten und Gästen aus Medien, Wirtschaft und Politik zu Protokoll. „Und da haben wir leider das Schreien im Walde.“ Einer Übererfüllung im Bereich des Ausbaus erneuerbarer Energien stünden große Defizite beim Netzausbau, bei Smart Grids und bei Speichertechnologien gegenüber, so Kohler. Auch die Gebäudesanierung komme nur schleppend voran.
Die Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl von der Partei Bündnis 90/Die Grünen äußerte, dass sie die Bedenken der Industrie teilweise auch hege. Aus ihrer Sicht fehle es zurzeit vor allem an Transparenz bei der Umsetzung von Energieprojekten. „Kaum ein Mensch kann die zugrundegelegten Berechnungen nachvollziehen.“ In Ermangelung eines politischen Steuerungsmechanismus sei ein handfestes Akzeptanzproblem entstanden, das nur durch die frühzeitige Einbeziehung aller Beteiligten in den Planungsprozess behoben werden können. „Wir müssen Akzeptanz durch Partizipation fördern“, forderte Kotting-Uhl. Es gelte, Eingriffe zu vergleichen, abzuwägen und ertragen zu lernen.
Im Windschatten der Problematik des Netzausbaus, aber nicht minder wichtig sind die Modernisierung und der Ausbau des Kraftwerksparks in Deutschland.
Der abstrakte Wille mag zwar da sein, doch die konkreten finanziellen Investitionsrisiken bleiben enorm. Stephan Kohler von der dena mahnte, dass beim gegenwärtigen Modernisierungstempo nach dem Abschalten der Kern- und Steinkohlekraftwerke die Kaltreserve in Gefahr sei. Tony Van Osselaer zufolge müssten beim Kraftwerksbau das Investitionsdilemma sowie das Grundlastproblem vordringlich gelöst werden. Wenig hilfreich sei hier die zweitrangige Behandlung der Kraft-Wärme-Kopplung. Beim Thema Grundlast differenzierte dena-Geschäftsführer Kohler: „Wir brauchen keine Grundlastkraftwerke, sondern eine gesicherte Stromversorgung für den Ausgleich von Photovoltaik und Wind.“ Vor allem neue Gaskraftwerke seien hierfür nötig. Man müsse regional differenziert zubauen.
Eine Energiewende zum Nulltarif ist ausgeschlossen. Am Ende des Weges stellt sich die Frage nach den Kosten und Preisen. Wer wird letztlich zur Kasse gebeten? „Die Stromverbraucher“, so die klare Antwort von Tony Van Osselaer. Und dazu gehöre auch die chemische Industrie. Neben den Personalkosten sei Strom schon jetzt der wichtigste Posten in Chemieunternehmen. „Wir brauchen eine globale Harmonisierung, sonst droht eine schleichende Verlagerung“, sagte van Osselaer mit Blick auf Investitionsverlagerungen ins Ausland.
Wird die Energiewende gelingen? „Wenn es so läuft wie zurzeit, dann werden die AKW bis 2022 nicht abgeschaltet“, stellte die atompolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Kotting-Uhl fest. Die Zeit laufe zwar davon, aber man könne es noch packen. Davon zeigte sich auch Stephan Kohler überzeugt. Potenzial und technisches Know-how seien in Deutschland genug vorhanden. Vorsichtig zuversichtlich gab sich BMS-Vorstandsmitglied Tony Van Osselaer zum Ende der Runde: „Die Industrie ist wettbewerbsfähig. Lassen Sie uns die Energiewende zusammen vernünftig gestalten.“