Transformation und gesellschaftliche Akzeptanz der Chemie
Schon lange geht es nicht mehr um das „Ob“ der nachhaltigen Transformation der Chemie- und Pharmabranche, sondern nur noch um das „Wie“. Welches sind die effizientesten und wirkungsvollsten Methoden, mit denen sich unsere Branche den Herausforderungen und Megatrends der Zukunft stellt?
Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) hat sich dankenswerterweise in einer Dialogreihe „Perspektiven nachhaltiger Chemieindustrie in Deutschland“ diesen Fragen gewidmet. In Zusammenarbeit mit dem Zentrum Liberale Moderne unter der Leitung von Ralf Fücks ist ein Eckpunktepapier herausgekommen, das den Willen der Dialogpartner aufzeigt, nachhaltiges Wirtschaften in der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie weiter voranzutreiben und aktiv mitzugestalten. Der VAA begrüßt und unterstützt die Positionen und Forderungen des VCI. Sie kommen zur rechten Zeit. Man kann nicht oft genug darauf hinweisen, dass unsere Branche eine entscheidende Rolle für die Produktion aller anderen Industriesektoren spielt.
Es geht – nicht nur – in der Chemie um einen großen Aufbruch. Um eine „Zeitenwende“ auch für unsere Wissenschaft und Industrie. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen und der politische und gesellschaftliche Wille zum Wandel da ist, stehen die Chancen für diesen Um- und Aufbruch gar nicht schlecht. Pandemie und russischer Angriffskrieg haben unsere Sicht auf die Chemie verändert. Auch Deglobalisierung und Digitalisierung sorgen dafür, dass die Branche vor tiefen Einschnitten mit erheblichen Herausforderungen steht. Der Zeitpunkt für den Wandel ist da. Ob bei Bildung und technischer Infrastruktur, ob beim Steuersystem oder in der Energiepolitik, ob im Verkehrswesen oder in der Gesundheitsversorgung unserer alternden Gesellschaft – die Herausforderungen zur Aufrechterhaltung unseres hohen Lebensstandards wachsen. Hinzu kommt, dass die internationale Konkurrenz nicht schläft.
Auch wir als Fach- und Führungskräfte im VAA müssen uns dieser Aufgabe in unseren Unternehmen stellen. Führung auszuüben, heißt, Verantwortung zu übernehmen und Orientierung zu geben. Und es bedeutet, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu motivieren. Letzteres dürfte nicht so schwer fallen, denn wir können auf unsere Vorzüge verweisen. Unsere Fachkräfte verfügen über Forschungskraft und Know-how. Sie sind es, die ihre Unternehmen auf dem Weg zur Nachhaltigkeit vorantreiben. Zum politischen Willen muss jedoch auch die gesellschaftliche Akzeptanz der Chemie hinzukommen. Und auf diesem Gebiet möchten die Mitglieder des VAA einen Beitrag leisten.
Die Rolle und Bedeutung der Chemie für die Umstellung unseres Wirtschaftens und unseres Produzierens auf eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft sind in der Breite der Gesellschaft noch nicht richtig angekommen. Wie kommt es, dass Wissenschaft und Industrie der Chemie unverzichtbar für wichtige Industriezweige wie Automobil, Bauen, Nahrung, Energie, Gesundheit sind und dennoch nicht wirklich als positive Treiber einer nachhaltigen Wirtschaftsweise in der breiten Öffentlichkeit und in den Medien betrachtet werden? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit der Chemie jene gesellschaftliche Akzeptanz zukommt, die ihrem unbestrittenen volkswirtschaftlichem Nutzen und ihrer wissenschaftlichen und ökologischen Bedeutung entspricht?
Diesen Fragen möchte sich der VAA widmen. Aus dem Dialog mit promienten Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wird 2023 das VAA-Jahrbuch „Zwischen uns stimmt die Chemie“ entstehen. Inspirierend für die Themenfindung war der Austausch mit dem Center for the Transformation of Chemistry (CTC), das unter der Leitung von Prof. Peter H. Seeberger seine Arbeit aufgenommen hat. Das CTC will die Chemie völlig neu entwickeln. Seine Idee ist, die Chemie mit dem Chemieingenieurwesen und mit Künstlicher Intelligenz zusammenzubringen. Wir werden in der Juniausgabe des VAA Magazins über diese anspruchsvolle und wegweisende Gründung berichten.
Wie lange wird der Weg zu einer nachhaltigen Transformation der chemischen Industrie dauern? Wie viel Zeit benötigen wir, bis die Chance dieser Transformation für Wachstum, neue Geschäftsfelder, innovative Produkte und Anwendungen.in der Gesellschaft erkannt und akzeptiert wird? Welcher Einsatz von uns Fach- und Führungskräften ist nötig, damit die Fähigkeit und die Bereitschaft zur Transformation der Chemie und zum Wandel, den sie mit sich bringt, groß genug ist, um diesen neuen und herausfordernden Weg nicht nur einzuschlagen, sondern ihn zu gestalten?
Antworten werden sich schrittweise entwickeln. Wir werden den Dialog mit den Akteuren in Wissenschaft und Wirtschaft suchen und darüber berichten. Je besser die Kommunikation, umso schneller entsteht jener gesellschaftliche Konsens über Nutzen und Chancen dieser nachhaltigen Transformation für Chemie und Gesellschaft. Die nachhaltige Transformation verdient jedenfalls den kompromisslosen und kraftvollen Einsatz von allen.
Dr. Birgit Schwab
1. Vorsitzende des VAA
