Schriftliche Stimmabgabe bei Betriebsratswahl nur für Betriebsstätten mit ausreichender räumlicher Entfernung zum Hauptbetrieb
Bei Betriebsratswahlen kann der Wahlvorstand die schriftliche Stimmabgabe für räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernte Betriebsteile und Kleinstbetriebe beschließen. Das ist allerdings nur zulässig, wenn diese Betriebsstätten tatsächlich so weit vom Hauptbetrieb entfernt liegen, dass den Beschäftigten der Urnengang im Hauptbetrieb nicht zugemutet werden kann oder unverhältnismäßige Kosten für den Arbeitgeber entstehen. Das hat das Bundesarbeitsgericht in einem aktuellen Urteil klargestellt.
An einem Standort eines großen Automobilherstellers war im Frühjahr 2018 eine Betriebsratswahl durchgeführt worden. Das mehrere Hektar große Werksgelände ist von einem geschlossenen Werkszaun umgeben und der Zugang erfolgt durch vom Werkschutz kontrollierte Tore. Außerhalb des umzäunten Geländes befinden sich weitere Betriebsstätten, die dem Werk organisatorisch zugeordnet sind und von dem dort gewählten Betriebsrat vertreten werden. Bei der im April 2018 durchgeführten Betriebsratswahl hatte der Wahlvorstand für die Arbeitnehmer sämtlicher außerhalb des geschlossenen Werksgeländes liegender Betriebsstätten die schriftliche Stimmabgabe (Briefwahl) beschlossen. Drei dieser Betriebsstätten liegen unmittelbar angrenzend an das umzäunte Werksgelände. Nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses wurde die Wahl von neun wahlberechtigten Arbeitnehmern die Wahl angefochten, die unter anderem geltend machten, die Briefwahl habe nicht für sämtliche außerhalb des geschlossenen Werksgeländes liegende Betriebsstätten beschlossen werden dürfen. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht erklärten die Betriebsratswahl für unwirksam, Betriebsrat und Arbeitgeber wandten sich deshalb an das Bundesarbeitsgericht (BAG).
Das BAG erklärte die Betriebsratswahl allerdings ebenfalls für unwirksam (Urteil vom 16. März 2022, Aktenzeichen: 7 ABR 29/20). Die Bundesarbeitsrichter billigten dem Wahlvorstand zwar einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Frage zu, ob die jeweiligen Betriebsteile räumlich weit genug vom Hauptbetrieb entfernt liegen, um eine schriftliche Stimmabgabe zu beschließen. Bei den drei unmittelbar an das umzäunte Werksgelände angrenzenden Betriebsstätten sei diese Voraussetzung aber nicht erfüllt gewesen und die Betriebsratswahl somit unwirksam.
VAA-Praxistipp
Das aktuelle Urteil des BAG zeigt, dass Wahlvorstände bei der Entscheidung über die schriftliche Wahl einzelner Betriebsstätten sorgfältig prüfen sollten, ob diese ausreichend weit vom Hauptbetrieb entfernt liegen. Nur wenn den Beschäftigten der Urnengang im Hauptbetrieb nicht zugemutet werden kann oder unverhältnismäßige Kosten für den Arbeitgeber entstehen, ist eine schriftliche Wahl ausnahmsweise zulässig.