Die Frau mit der weiten Sicht ...
... so soll in wörtlicher Übersetzung ihres Namens, Zeus, als weißer Stier, die schöne Europa begehrt haben, als er sie nach Kreta verschleppte.
Weitsicht, das Ende zu bedenken, was auch immer sie tun, das wäre zu hoffen: Von denjenigen, die wie Angela Merkel derzeit Beschlüsse zur Währungs- und Finanzpolitik der Europäischen Union fassen und mit modernen Bullen oder Bären an der Börse kämpfen.
Kaum hat die politische Klasse den Lissabon-Vertrag teils mit List, teils mit Sturheit durchgepaukt, da werden die neuen Regeln im Brüsseler Europäischen Rat durch die Griechenlandkrise bereits auf die Probe gestellt. Hält wirklich zusammen, was bislang nie recht zusammenhielt? So möchte man das berühmte Zitat von Willy Brandt abwandeln. Noch grundsätzlicher: Sollte Europas Norden hier überhaupt mit Europas Süden und dem hochverschuldeten Griechenland Solidarität üben?
Liest man die maßgebliche Vorschrift, Art. 125 des neuen Lissabon-Vertrags, dann ist die Antwort klar: Nein. Die Union haftet nicht für einzelne Mitgliedstaaten. Einzelne Mitgliedstaaten haften nicht untereinander. Der geordnete Staatsbankrott wird von den Schöpfern des Maastricht-Vertrages, mit dem die Währungsunion geschaffen worden war, im schlimmsten Fall als Rosskur empfohlen. Medizin muss bitter schmecken. Wer weder hören noch folgen will, und zwar den Empfehlungen zur Wirtschaftspolitik (Art. 121 AEUV) und den Defizitregeln des Stabilitätspakts (Art. 126 AEUV), der soll fühlen. Möglichst ungefiltert soll ein solcher Mitgliedsstaat erfahren, was es heißt, sich sein Geld am globalen Kapitalmarkt zu beschaffen. Er soll den höher und immer höher steigenden Zinssatz für Anleihen fühlen. Zuletzt musste Griechenland für zehnjährige Staatsanleihen 7,5 Prozent Zinsen zahlen und lag damit Anfang Februar teilweise bis zu 400 Basispunkte über deutschen Bundesanleihen. Trickreich, so hatten die Schöpfer des Maastrichter Vertrages gedacht, könnten sie die unsichtbare Hand des Kapitalmarktes als strafende Macht in den Dienst der Regeln der Währungsunion nehmen.
Die Europäische Währungsunion befindet sich derzeit an einer Wegscheide. Bleiben die Mitgliedsstaaten vertragstreu oder halten sie Griechenland die Stange? Die Wetten der spekulierenden Gläubiger sagten: Sie halten den Griechen die Stange – und siehe da, sie hielten sie. Wie meinte Jean-Claude Juncker, der luxemburgische Premier- und Schatzminister, politischer Repräsentant eines Kleinstaats, der zugleich und zuerst Bankenplatz von Rang ist: „Wir lassen Griechenland nicht alleine“.
Herausgekommen ist ein Hilfspaket von 30 Milliarden Euro zu nicht marktüblichen Zinsen von 5 Prozent, zu dem der Internationale Währungsfonds (IWF) noch zusätzlich 15 Milliarden Euro beisteuert.
Da fragt man sich: Was ist das Ende? Haben die EU-Finanzminister sich hier beim Notfallplan für Griechenland an die stets beachtliche Empfehlung gehalten: In zweifelhaften Fällen entscheide man sich immer für das Richtige?
Wer kann das wissen? Aber eines kann man zumindest erkennen: Wenn der von den Mitgliedstaaten für Griechenland teuer gekaufte Zeitaufschub nicht in einer verschleppten Insolvenz enden soll, dann wird diese Solidaraktion Druck erzeugen: Es geht in der Konsequenz darum, föderalstaatliche Strukturen wie etwa den Länderfinanzausgleich aufzubauen. Die nächsten Rettungskandidaten sind nämlich die anderen PIIGS-Staaten Portugal, Irland, Italien und Spanien. Sollten sie kommen, dann erst wird sich zeigen, ob das Rettungsmodell für Griechenland den Verallgemeinerungstest besteht. Dann erst werden die frühreifen, bei der Stützung Griechlands gewonnenen Erkenntnisse, im Zusammenprall mit dem Unsinn der ausgebrochenen Spekulationszeit die Paradoxie jeglicher austeilenden Gerechtigkeit aufzeigen: War es nicht schreiend ungerecht, dass der Frühaufsteher im Weinberg des Herrn nicht mehr Lohn bekam als der Nachmittagssammler? Nein, denn er sollte sein Werk um einen Gotteslohn tun.
Doch was gebührt auf dieser Welt womöglich Spanien, was Griechenland nicht zusteht? Das entscheidende Manko der Europäischen Union im Verhältnis zum Föderalstaat ist, dass die listig für die Zwecke der europäischen Währungsunion eingespannte, strafende Macht der unsichtbaren Hand des Markts keine einheitliche politische Zentralgewalt ersetzt. Mag das Bundesverfassungsgericht im Falle der zuerst notfällig gewordenen Staaten Saarland und Bremen die Haushaltsnotlage bejaht haben, nur um sie rund ein Jahrzehnt später beim Land Berlin abzulehnen: Es glomm doch für keine der Landesregierungen zu irgend einer Zeit der wärmende Funken nationalstaatlicher Rückfallsfiktionen. Gerade wird diese Glut indes in den enttäuschten Gesellschaften Mittelosteuropas wie in Ungarn wieder neu angefacht und muss Anlass zur Sorge sein. Was den Berlinern einzig übrig blieb, war in Demut vor dem Bund frech und frei zu verkünden: Berlin ist arm aber sexy, .... um dann zu sparen.
ERROR: Content Element with uid "1036" and type "templavoila_pi1" has no rendering definition!