Druck bleibt stark, VAA bleibt gefragt
Das Erfreuliche zuerst: Der zwischenzeitlich zu befürchtende Zusammenbruch der chemischen Industrie in Deutschland ist ausgeblieben. Nach Corona und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sind zwar die Energiekosten in die Höhe geschossen und die Energieversorgungssicherheit hat gelitten. Auch Inflation und Konjunktureinbruch haben unserer Branche zu schaffen gemacht. Das Schlimmste wurde aber verhindert.
Doch ist der Druck auf die Chemie noch lange nicht vorbei. Die Infrastruktur ist in schlechtem Zustand, die Energiewende massiv verzögert und die Bürokratie immer noch zu langsam. Der Zustand der Branche in Deutschland ist nach wie vor kritisch, ein weiteres Schönreden für die Industrie lebensgefährlich. Hinzu kommt, dass der Klimawandel den Chemiesektor tiefgreifend verändert hat. Nichts wird mehr sein wie bisher. So nimmt das Wachstum der chemischen Industrie in allen Sektoren weltweit zu. Der Verbrauch von Energie, Rohstoffen und Wasser wird sich bis 2030 verdoppeln. Tiefgreifende Veränderungen in der Art und Weise, wie Moleküle konzipiert und Prozesse gestaltet werden, sind daher nötig, um Rückverfolgbarkeit, Recyclingfähigkeit und Wiederverwendung zu gewährleisten. Das bedeutet einen radikalen Umbruch für die Chemie. Es gibt eine „Zeitenwende“ in der Politik, aber auch in der Chemie. Sie muss neu gedacht werden und sich in eine zirkuläre Wissenschaft und Industrie entwickeln.
Erfreulicherweise sind dafür die Rahmenbedingungen günstig. Die Energiekrise ermöglicht der Chemie, ein Wegbereiter für die Dekarbonisierung der Wirtschaft zu werden. Die Klimakrise zeigt, dass die Chemieindustrie eine entscheidende Rolle bei der wirksamen Bekämpfung des Klimawandels spielt.
Hervorragende Neugründungen wie die des Centers for the Transformation of Chemistry (CTC) und viele andere Beispiele zeigen, dass die Chemie aufgebrochen ist. Für die Fach- und Führungskräfte bedeutet dies, dass sie stärker als je gefordert sind. Sie müssen nicht nur diese Veränderungen verstehen und in operatives Handeln umsetzen, sondern auch ihre Mitarbeiter auf diesem Weg mitnehmen. Das bedeutet eine verstärkte Veränderung des Führungsverhaltens und die Entwicklung neuer Führungsstile. Konsequenterweise hat sich der VAA schon 2022 intensiv auf das Thema „New Work im New Normal“ konzentriert.
Auf der menschlichen Seite ist Führung vorrangig Emotionsarbeit. Es geht um die Förderung des Wir-Gefühls sowie von Inspiration und Empathie. Insbesondere wenn persönliche Treffen selten möglich sind, sollte der Zusammenhalt auch digital zum Beispiel durch wöchentliche Check-ins gefördert werden. Eine weitere zentrale, emotionale Führungsaufgabe ist transformationale Führung. Dazu gehört, dass Führungskräfte vorbildhaft agieren und selbst emotionales Commitment zeigen, ihre Beschäftigten für die Zielerreichung begeistern und ihnen den Sinn der Aufgaben verdeutlichen. Der VAA wird seine Mitglieder auch weiterhin bei neuen Organisationsformen der Führung und bei der aktiven Weiterentwicklung der vorherrschenden Rollenbilder für Führung und den dazugehörenden Kompetenzen der Rolleninhaber unterstützen.
Stephan Gilow
Hauptgeschäftsführer des VAA
