Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung: zwischen Aufbruch und Enttäuschung
Dieses Mal ging es erfreulich schnell. Das Tempo, in dem Union und SPD ihren Koalitionsvertrag vorgelegt haben, berechtigt zu großen Hoffnungen. Zunächst einmal scheinen die Koalitionäre verstanden zu haben, dass Deutschland in diesen turbulenten Zeiten schnell eine handlungsfähige Regierung braucht. Die Welt wartet nicht auf Deutschland. Nicht zuletzt die US-amerikanische Herausforderung mit Zöllen, schlingernden Finanzmärkten und einer für Europa gefährlichen Sicherheitspolitik erfordert einen ernst zu nehmenden Player. Auch das für unsere Industrie so wichtige Ziel, den Standort Deutschland wettbewerbsfähiger zu machen, wurde adressiert. Im Koalitionsvertrag sind Investitionen in Sicherheit und Infrastruktur vorgesehen, dazu Entlastung bei Energie und Bürokratie sowie eine Unternehmenssteuerreform.
Fortschritte bei der Digitalisierung sind anvisiert, eine neue Flexibilität bei der Arbeitszeit, mehr Anreize für Beschäftigung durch Änderungen beim Bürgergeld – all das ist richtig und zielführend. Nach den so niedrigen Erwartungen der letzten Jahre in die Politik bedeuten die genannten Punkte insgesamt eine erfreuliche Botschaft: Deutschland hat den Willen zur Rückkehr auf die politische Bühne. Und Deutschland will sich den Herausforderungen der Welt durch eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit des Standorts stellen.
Leider gibt es neben viel Licht auch einigen Schatten. Zwar werden drängende Themen erkannt und benannt, aber man findet dann doch nicht den Mut, ihnen mit einem großen Wurf zu begegnen. Manches wird erst gar nicht angesprochen oder man macht das, was man in der Politik gern macht: Man vertagt Strittiges oder Schwieriges in Kommissionen. Mindestens 15 neue Kommissionen will die künftige Regierung als Beratungs- und Entscheidungsgremien einsetzen. Eine davon betrifft das Gebiet, auf dem kein Mut zur Reform sichtbar war, obwohl er gerade hier besonders nötig gewesen wäre. Eine Kommission zur Sozialstaatsreform soll bis Ende des Jahres Empfehlungen zur Rechtsvereinfachung und zur Zusammenlegung von Sozialleistungen abgeben. Übersetzt heißt das: Ein sozialpolitischer Aufbruch findet nicht statt.
Dabei gehört zur Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft das Ziel, die Sozialbeiträge für Unternehmen und Beschäftigte wieder unter 40 Prozent des Bruttolohns zu drücken.
Zu einer Politik der Ausgabenbegrenzung, die Beitrags- und Steuerzahlern Entlastung bringen könnte, haben Union und SPD sich auch auf anderen Feldern nicht durchgerungen. Zum Bürgergeld sind einige Änderungen verabredet, die stärker zum Arbeiten anhalten sollen. Aber selbst Einsparungen von sechs Milliarden Euro im Jahr reichen nicht aus, um die Mehrkosten der von den Neukoalitionären jetzt neu vereinbarten Rentenerhöhungen aufzufangen. Die Erweiterung der Mütterrente für Frauen mit Kindern steigert die jährlichen Rentenausgaben um fast fünf Milliarden Euro. In der Finanzpolitik schieben Union und SPD die größten Projekte in die Zukunft. Wann die Senkung der Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen kommt, scheint noch nicht klar zu sein. Eine Einkommensgrenze, bis zu der diese Entlastungszusage gelten soll, wird nicht genannt. Auch Kapitalgesellschaften müssen sich gedulden, bis die versprochene Senkung der Körperschaftsteuer beginnt, aber wenigstens wird ein Termin genannt: Anfang 2028. Vorher gibt es einen „Investitions-Booster“ in Form einer degressiven Abschreibung auf Ausrüstungsinvestitionen von 30 Prozent.
Auch wenn in diesem Koalitionsvertrag einige Fragen offenbleiben, so sendet er doch ein optimistisches Signal an die Welt. Die Zeichen der Zeit sind zum großen Teil erkannt, an guten Absichten fehlt es nicht. Gemessen jedoch wird die neue Regierung an Taten. Maßstab für ihren Erfolg kann aus Sicht der chemisch-pharmazeutischen Industrie nur die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland sein. Nur so wird eine starke Industrie unternehmerischen Erfolg, Beschäftigung und sozialen Frieden garantieren können.
Dr. Birgit Schwab
1. Vorsitzende des VAA
