Biokraftstoffe: weniger Hau-Ruck, mehr Strategie
Ein Rekord-Sommer geht zu Ende. Nicht nur die Temperaturen in Deutschland, auch die Benzin-Preise an den Zapfsäulen und die Agrar-Preise an den Weltmärkten haben zumindest zeitweise Allzeit-Höchstwerte erreicht. Während sich die Debatte über die hohen Benzinpreise in immer gleicher Weise wiederholt, bieten die hohen Nahrungsmittelpreise neuen Diskussionsstoff: Darf man Nahrungsmittel als Biokraftstoff in den Tank füllen, während in den Entwicklungsländern Hunger herrscht?
Eine Antwort auf diese Frage hat Entwicklungsminister Dirk Niebel Ende August gegeben: Er schlug vor, den Verkauf der Benzinsorte E10 zu stoppen. Aus ethischer Sicht ist der Vorschlag naheliegend: Knapp gesagt, Weizen im Tank in Europa und Hunger in Afrika, da hat man schnell ein ungutes Gefühl. Politisch ist der Vorschlag naheliegend, weil sich die FDP damit nicht nur zur Stimme eines entwicklungspolitischen Gerechtigkeitsempfindens macht, sondern zugleich einer Benzinsorte den Hahn abdrehen will, die bei vielen Deutschen ohnehin auf wenig Gegenliebe stößt. In der Sache taugt Niebels Forderung hingegen wohl vor allem dazu, die ohnehin notwendige Debatte über Tank und Teller voranzutreiben. Wer sich mit den Fakten beschäftigt, erkennt, dass ein Verkaufstopp für Bioethanol in Deutschland die Agrarpreise am Weltmarkt kaum beeinflussen würde. Den Effekt der energetischen Nutzung von Biomasse in Deutschland auf die Weltmarktpreise von Agrarrohstoffen schätzen Experten auf 0,5 Prozent. Aber nur 12 Prozent der für diese energetische Nutzung angebauten Biomasse entfallen auf die Herstellung von Bioethanol. Wirtschaftlich betrachtet spricht also wenig für einen Verkaufsstopp zur Bekämpfung des Welthungers.
Doch auch bei der ethischen Betrachtung gilt es, über den Tellerrand zu schauen. Keine Frage: Der Konflikt zwischen Tank und Teller ist vorhanden, auch bei vergleichsweise geringen Anbauflächen. Gleichzeitig soll die Beimischung von Biokraftstoffen einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der europäischen Klimaschutzziele im Verkehrsbereich leisten. Und diese Klimaschutzziele einzuhalten ist auch unter ethischen Gesichtspunkten geboten: Der Klimawandel mit Dürren und Überschwemmungen wird vor allem diejenigen Ländern treffen, in denen die Menschen schon heute Hunger leiden.
Doch an der Klimafreundlichkeit der bislang verwendeten Biokraftstoffe bestehen inzwischen Zweifel. Von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studien kommen zu dem Ergebnis, dass vor allem Biodiesel weniger klimafreundlich ist als bislang angenommen. Im Oktober will die Kommission die neue Marschrichtung in Sachen europäischer Kraftstoffpolitik vorstellen. Aber wohin soll die Reise gehen? Die Elektromobilität steckt noch in der Entwicklungsphase, zumindest auf absehbare Zeit wird es deshalb ohne Verbrennungsmotoren nicht gehen. Und wer Klimaschutz will, kann nicht einfach die Uhr zurückdrehen und wieder verstärkt auf Erdöl setzen, das ohnehin zusehends knapper und teurer wird.
Die Klimaexperten sagen uns, dass der Sommer 2012 nicht der letzte gewesen sein wird, in dem die Temperaturen auf Rekordwerte klettern. Um solche Extreme zu begrenzen und zu verhindern, dass auch die Agrarpreise in Zukunft von Rekord zu Rekord eilen, brauchen wir keine Hau-Ruck-Aktionen, die das Know-how eines ganzen Wirtschaftszweigs zur Disposition stellen. Zwingend nötig ist hingegen eine langfristige Strategie für den Umgang mit Biokraftstoffen. Zum Beispiel durch die stärkere Förderung von Erforschung und Einsatz von Zellulose-Ethanol. Solche sogenannten Biokraftstoffe der zweiten Generation werden aus Agrarreststoffen wie Stroh und Pflanzenresten hergestellt und haben eine gute Klimabilanz. Die Frage nach Tank oder Teller stellt sich in der zugespitzten Form nicht. Erste Demonstrationsanlagen gibt es bereits. Mit klaren politischen Rahmenbedingungen könnte daraus eine Produktion im größeren Maßstab werden, die sich als wichtiger Beitrag zur Sicherung der weltweiten Lebensmittelversorgung und zum Schutz des Klimas erweist.