Betretungsverbot nach Urlaub im Risikogebiet: Arbeitnehmer hat Anspruch auf Vergütung
Erteilt ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, der aus einem Coronarisikogebiet zurückkehrt, ein Betretungsverbot für das Betriebsgelände, obwohl der Arbeitnehmer entsprechend den verordnungsrechtlichen Vorgaben keiner Absonderungspflicht (Quarantäne) unterliegt, schuldet der Arbeitgeber grundsätzlich Vergütung wegen Annahmeverzugs. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden.
Ein Unternehmen hatte zum Infektionsschutz ein Hygienekonzept erstellt, das für Beschäftigte, die aus einem vom RKI ausgewiesenen Risikogebiet zurückkehren, eine 14-tägige Quarantäne mit Betretungsverbot des Betriebs ohne Entgeltanspruch anordnete. Die SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung des betreffenden Bundeslandes sah zu diesem Zeitpunkt nach Einreise aus einem Risikogebiet grundsätzlich eine Quarantänepflicht für einen Zeitraum von 14 Tagen vor. Diese sollte jedoch nicht für Personen gelten, die über ein ärztliches Attest nebst aktuellem Laborbefund verfügen, der ein negatives Ergebnis eines PCR-Tests ausweist, der höchstens 48 Stunden vor Einreise vorgenommen wurde, und die keine Symptome einer COVID-19-Erkrankung aufweisen.
Ein Mitarbeiter des Unternehmens reiste während eines ihm erteilten Urlaubs wegen des Todes seines Bruders in die Türkei, die zu dieser Zeit als Coronarisikogebiet ausgewiesen war. Vor der Ausreise aus der Türkei unterzog er sich einem Corona-PCR-Test, der ebenso wie der erneute Test nach Ankunft in Deutschland negativ war. Der Arzt des Arbeitnehmers attestierte ihm Symptomfreiheit. Das Unternehmen verweigerte dem Mitarbeiter für die Dauer von 14 Tagen den Zutritt zum Betrieb und zahlte keine Arbeitsvergütung. Mit einer Klage vor dem Arbeitsgericht verlangte der Arbeitnehmer die Vergütung wegen Annahmeverzugs in Höhe von rund 1.500 Euro brutto. Er machte geltend, das Unternehmen habe zu Unrecht die Annahme seiner Arbeitsleistung verweigert. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht (LAG) gaben der Klage statt.
Nun hat das BAG ebenfalls im Sinne des Arbeitnehmers entschieden (Urteil vom 10. August 2022, Aktenzeichen: 5 AZR 154/22). Das LAG habe richtig erkannt, dass sich das Unternehmen mit der Annahme der vom Arbeitnehmer angebotenen Arbeitsleistung in Annahmeverzug befand. Das erteilte Betretungsverbot des Betriebs führte nicht zur Leistungsunfähigkeit des Klägers (§ 297 BGB), weil die Ursache der Nichterbringung der Arbeitsleistung vom Arbeitgeber selbst gesetzt wurde. Dass dem Unternehmen die Annahme der Arbeitsleistung des Klägers aufgrund der konkreten betrieblichen Umstände unzumutbar war, habe es nicht dargelegt. Die Weisung, dem Betrieb für die Dauer von 14 Tagen ohne Fortzahlung des Arbeitsentgelts fernzubleiben, war laut BAG außerdem unbillig und daher unwirksam. Das Unternehmen habe dem Mitarbeiter nicht die Möglichkeit eröffnet, durch einen weiteren PCR-Test eine Infektion weitgehend auszuschließen. Hierdurch hätte sie den nach § 618 Absatz 1 BGB erforderlichen und angemessenen Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer erreichen und einen ordnungsgemäßen Betriebsablauf sicherstellen können.
VAA-Praxistipp
Mit seinem Urteil hat das BAG bestätigt, dass Beschäftigte bei einem Betretungsverbot des Betriebs nicht ihren Anspruch auf Vergütung verlieren, wenn das Hygienekonzept des Arbeitgebers zum Schutz der Mitarbeiter strengere als die gesetzliche Quarantänepflicht vorsieht.