Europa: Was bedeutet der Green Deal für die Afrika-EU-Beziehungen?
Schon seit Gründung der Europäischen Union war den handelnden Personen in Politik und Wirtschaft die Bedeutung des afrikanischen Kontinents für die Entwicklung Europas bewusst. Eine Schlussfolgerung des Schuman-Plans vom 9. Mai 1950 lautete: „Europa wird dann mit vermehrten Mitteln die Verwirklichung einer seiner wesentlichsten Aufgaben verfolgen können: die Entwicklung des afrikanischen Erdteils.“
In der politischen Rhetorik war schnell von „Eurafrika“ die Rede, einem Begriff, der in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts geprägt worden war. Konrad Adenauer sprach von einer „Vision für Eurafrika“. Auch das Ausland war davon fasziniert. Die New York Times nannte Eurafrika „einen Traum, der Realität werden kann und vielleicht Realität werden muss, wenn die Welt einen anderen und größeren Holocaust verhindern will“.
Doch steht dieses abstrakte Wissen um die Bedeutung der Beziehungen zwischen Europa und dem afrikanischen Kontinent häufig im Gegensatz zur geringen Größenordnung des konkreten Handelns. Afrika scheint weit weg zu sein, die große Transformation, die zurzeit auf vielen Ebenen in Afrika stattfindet, wird von der EU nicht immer richtig antizipiert.
Vielmehr sieht es danach aus, als würde die geopolitische und wirtschaftliche Bedeutung Afrikas in China besser verstanden als beim unmittelbaren Nachbarn Europa. Seit dem Jahr 2000 investiert China jedes Jahr rund 20 Milliarden US-Dollar in Schlüsselprojekte, die für Afrika wertvoll sind. Es ist zu hoffen, dass auch die EU erkennt, was Afrika global für die Weltgemeinschaft bedeutet beziehungsweise bedeuten kann und dass dieser Erkenntnis auch die entsprechende Handlungsbereitschaft folgen wird.
Ein Ansatzpunkt und großer Hebel könnte dabei das Jahrhundertprojekt der EU sein: der Green Deal und die Veränderung des europäischen Wirtschaftsmodells in Richtung Nachhaltigkeit. Auch wenn zurzeit in Brüssel der Green Deal vor allem als europäisches Projekt diskutiert wird, so macht sich die Erkenntnis breit, dass die EU ihre Ziele nur dann erreichen kann, wenn sie starke internationale Partnerschaften aufbaut, die dazu beitragen, nachhaltige Handelsbeziehungen und grüne Traditionen global zu fördern.
Auch die Partnerschaft mit Afrika ist dabei maßgeblich. Besonders in drei Bereichen ist der Green Deal für die Afrika-EU-Beziehungen besonders relevant. Erstens ist die Zusammenarbeit bei der Energiewende zentral. Zweitens müssen Handelsbeziehungen umgestaltet und eine Kreislaufwirtschaft entwickelt werden. Und drittens sind mehr Resilienz und nachhaltige Transformation in der Landwirtschaft erforderlich.
Die Themen liegen auf dem Tisch: Energiewende, Reduktion von CO2-Emissionen, zirkuläres Wirtschaften, nachhaltige Transformation der Landwirtschaft, nachhaltige Ernährung und Rohstoffgewinnung. Und diese Themen sind für die chemisch-pharmazeutische Industrie allesamt von Bedeutung.
Auch geht es für Deutschlands größten Führungskräfteverband um die Frage, wie stark das Thema schon in den Köpfen der Führungskräfte verankert ist. Was tun Führungskräfte in deutschen Unternehmen auf welchen Gebieten, um das Potenzial Afrikas zu erkennen und zu fördern? Die großen Unternehmen unserer Industrie sind global aufgestellt. Wie agieren sie vor Ort? Wie schulen sie Führungskräfte vor Ort? Wie funktioniert der Erfahrungs- und Kompetenzaustausch?
Es geht um Kapazitätsaufbau und um Kompetenzübertragung. Es geht um technologische und um soziale Innovation. Und ganz sicher auch um die Frage, wie und was das Management in Deutschland vom Management in Afrika lernen kann.
Viele Gründe für den VAA, sich in seinem diesjährigen Jahrbuch mit „Eurafrika“ zu beschäftigen und dabei besonders die Bedeutung des Green Deals für die Afrika-EU-Beziehungen zu beleuchten. Damit dürfte er ein Thema aufgreifen, dass im Jahr der Verabschiedung einer neuen EU-Strategie für Afrika und einer angekündigten Schwerpunktlegung der Bundesregierung von hoher Aktualität ist.
Gerhard Kronisch, Hauptgeschäftsführer des VAA
