Konjunktur: Nach dem Aufschwung ist vor dem Aufschwung
Viel wurde in den vergangenen Monaten über die Risiken durch den Brexit und die Handelskonflikte für die exportorientierte deutsche Industrie gesagt und geschrieben. Nun scheinen sich diese Befürchtungen – jedenfalls bis zu einem gewissen Grad – zu erfüllen. Die Konjunktur ist im Abschwung, die Industrieproduktion geht deutlich zurück. Auch in der Chemie- und Pharmabranche. Obwohl die deutschen Exporte im Juli überraschend wieder leicht zulegen konnten, spricht doch vieles dafür, dass die Zeiten immer neuer Umsatzrekorde vorläufig zu Ende sind.
Gleichzeitig befinden wir uns in einer strukturellen Umbruchphase. Trends wie Digitalisierung, E-Mobilität und die zunehmende Bedeutung klimafreundlicher Technologien bringen große Herausforderungen mit sich, weil die deutsche Wirtschaft davon durch ihre Exportorientierung einerseits und ihre Schwerpunkte im Maschinen- und Automobilbau andererseits besonders betroffen ist. Deutschlands Industrie wird sich in ihrer Struktur verändern und das wird auch finanzielle Anstrengungen erfordern. Die Schlussfolgerung daraus darf allerdings nicht lauten, dass die Arbeitnehmer die dafür benötigten Mittel durch Zurückhaltung bei der Lohnentwicklung beisteuern müssen.
Ein konkurrenzfähiges Lohnniveau ist der einzige Weg, die Fachkräfte anzuwerben und zu binden, die in der deutschen Industrie in Zukunft mehr denn je gebraucht werden. Abschwünge sind innerhalb der Zyklen der konjunkturellen Entwicklung völlig normal – und sie aufzufangen und zu managen, ist zuvorderst die Aufgabe der Unternehmen. Wenn der Abschwung zur Rezession wird, ist zusätzlich die Politik gefordert. Damit es soweit nicht erst kommt, können vorbeugende Maßnahmen wie eine erleichterte Nutzung der Kurzarbeit hilfreich sein.
Vor allem aber gilt es, gerade jetzt die Belegschaften und ihre Arbeitsplätze durch kluge und ambitionierte Investitionen in Aus- und Weiterbildung zukunftsfest zu machen. Die nationale Weiterbildungsstrategie von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ist dafür ein guter erster Schritt, wird allein aber nicht ausreichen. Wenn jedoch alle Akteure unseres Wirtschaftssystems – Politik, Unternehmen und Arbeitnehmer – diese Aufgabe gemeinsam anpacken, kann die Industrie in Deutschland den konjunkturellen Abschwung unbeschadet überstehen und wird im anschließenden Aufschwung wieder ihre Stärken ausspielen können.
Gerhard Kronisch, Hauptgeschäftsführer des VAA