EuGH: Unternehmen dürfen Tragen religiöser Zeichen verbieten
Unternehmen dürfen am Arbeitsplatz das Tragen sichtbarer religiöser Zeichen verbieten, wenn diese eine erforderliche Neutralität des Betriebes gefährden. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden.
Eine Drogeriekette hatte einer muslimischen Verkäuferin die Anweisung erteilt, ohne Kopftuch bei der Arbeit zu erscheinen, und sich dabei auf eine allgemeine betriebliche Neutralitätsanweisung berufen. Die Verkäuferin klagte erfolgreich vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht gegen die Anweisung. Das Unternehmen zog vor das Bundesarbeitsgericht, das den Prozess aussetzte und beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) anfragte, ob bei der Abwägung zwischen Unternehmerfreiheit (Artikel 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union) und nationalem Grundrecht der Glaubensfreiheit (Artikel 4 Grundgesetz) die Glaubensfreiheit als eine aus Arbeitnehmersicht günstigere Regelung den Ausschlag geben kann oder dieses Grundrecht möglicherweise wegen des vorrangigen Europarechts unangewendet bleiben muss. Zu einem vergleichbaren Fall in einer Kindertagesstätte hatte das Arbeitsgericht Hamburg dem EuGH ebenfalls die Frage vorgelegt, ob ein Kopftuchverbot mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
Der EuGH entschied, dass eine mittelbare Benachteiligung wegen des Glaubens in Form des Kopftuchverbotes zulässig sein kann, wenn der Arbeitgeber eine generelle Neutralitätspolitik im Umgang mit Kunden oder Nutzern verfolgt (Urteil vom 15. Juli 2021, Aktenzeichen: C-804/18 und C-341/19). Die Neutralitätspolitik muss allerdings einem wirklichen Bedürfnis des Arbeitgebers entsprechen, beispielsweise dem im Europrarecht anerkannten Recht der Eltern, dass ihre Kinder von Personen beaufsichtigt werden, die im Kontakt mit den Kindern nicht ihre Religion oder Weltanschauung zum Ausdruck bringen. Zudem muss es konsequent umgesetzt werden und angemessen sein, sich also auf notwendige Verbote beschränken.
Da das Recht der Europäischen Union keinen konkreten Ausgleich zwischen den Grundrechten und Grundsätzen der Religionsfreiheit, der weltanschaulichen Neutralität, der Nichtdiskriminierung und Unternehmensfreiheit definiert, haben die Mitgliedstaaten laut EuGH dabei aber einen Wertungsspielraum.
Wenn in einem Mitgliedstaat – wie in Deutschland durch Artikel 4 Grungesetz – die Religionsfreiheit besonders stark geschützt wird, dürfen solche nationalen Vorschriften als günstigere Vorschriften gegenüber dem Unionsrecht deshalb berücksichtigt werden.
VAA-Praxistipp
Der EuGH hat mit seinem Urteil zwar entschieden, dass Unternehmen ihren Mitarbeitern unter bestimmten Voraussetzungen das Tragen religiöser Zeichen verbieten dürfen, zugleich aber die weitreichende Religionsfreiheit deutscher Arbeitnehmer gestärkt. Denn laut der durch das EuGH-Urteil anerkannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes müssen Arbeitgeber schwere und konkret bevorstehende betriebliche oder wirtschaftliche Nachteile beweisen, wenn sie ein Verbot religiöser Bekleidung rechtfertigen wollen. Ob das in den beiden vorliegenden Fällen der Drogeriemitarbeiterin und der Kita-Erzieherin gelingt, ist fraglich.