Arbeitsvertrag: Hinweis in AGB auf Vorrang individueller Vereinbarungen
Ein in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarter vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt ist nur wirksam, wenn er ausdrücklich darauf hinweist, dass spätere Individualabreden über vertraglich nicht geregelte Gegenstände oder über Sonderzuwendungen nicht vom Freiwilligkeitsvorbehalt erfasst werden. Das hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg in einem Urteil klargestellt.
Im Arbeitsvertrag eines Arbeitnehmers war ein Freiwilligkeitsvorbehalt enthalten, laut dem die Zahlung von Sonderzuwendungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld im freien Ermessen des Arbeitgebers liegt und keinen Rechtsanspruch für die Zukunft begründet. Zudem enthielten die arbeitsvertraglichen AGB folgende Schriftformklausel: „Mündliche Nebenabreden bestehen nicht. Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform.“ Der Arbeitgeber zahlte von 2015 bis 2019 jeweils im Juni ein Urlaubsgeld und im November ein Weihnachtsgeld ohne Vorbehalt an den Arbeitnehmer. Als die Zahlungen im Jahr 2020 ausblieben, klagte der Arbeitnehmer dagegen. Die Freiwilligkeitsklausel des Arbeitsvertrages sei unwirksam, weil sie nicht erkennen lasse, was unter einer Sonderzuwendung zu verstehen sei. Das Arbeitsgericht lehnte die Klage ab, weil der Arbeitgeber aus seiner Sicht die Entstehung eines individualrechtlichen Anspruchs unter einem wirksamen Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt hatte.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) kam in der Berufung zu einem anderen Ergebnis (Urteil vom 10. Januar 2022, Aktenzeichen: 9 Sa 66/21). Der Arbeitnehmer durfte aus Sicht des LAG das Verhalten des Arbeitgebers, über Jahre hinweg vorbehaltslos eine bestimmte Leistung zu erbringen, als Angebot auf eine entsprechende Vertragsänderung verstehen und dieses Angebot annehmen. Die entgegenstehende Freiwilligkeitsklausel war laut LAG unwirksam.
Da die Klausel als Teil der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Arbeitgebers zu sehen war, unterliegt sie der AGB-Kontrolle des BGB. Dieser Kontrolle hält die Klausel nach Ansicht der LAG-Richter mangels der erforderlichen Transparenz nicht stand: Die Klausel stelle auch nachträglich vereinbarte Sonderzahlungen unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt und mache somit nicht deutlich, dass auf Sonderzuwendungen jedenfalls dann ein Rechtsanspruch besteht, wenn diese zuvor zwischen den Parteien vereinbart worden sind. Da laut BGB individuelle Vertragsabreden Vorrang vor Allgemeinen Geschäftsbedingungen haben, bedeute das in der Konsequenz: Ein vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt ist nur dann wirksam, wenn er ausdrücklich darauf hinweist, dass spätere Individualabreden über vertraglich nicht geregelte Gegenstände oder Sonderzuwendungen nicht vom Freiwilligkeitsvorbehalt erfasst werden.
VAA-Praxistipp
Das LAG stärkt mit seinem Urteil die Position von Arbeitnehmern, denn AGB sind Teil vieler Arbeitsverträge und müssten nach diesem Urteil noch strengeren Anforderungen genügen als bislang. Allerdings wurde die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Es bleibt also abzuwarten, ob die Auffassung des LAG dort Bestand hat.