Pflichtverletzungen: Müssen Arbeitnehmer Anwaltskosten für Compliance-Ermittlungen erstatten?
Arbeitnehmer müssen dem Arbeitgeber bei konkreten Verdachtsmomenten die Anwaltskosten erstatten, die für die Aufarbeitung schwerwiegender vorsätzlicher Pflichtverletzungen erforderlich sind. Der Anspruch auf Erstattung der Kosten hängt allerdings von eine
Ein Arbeitnehmer war bei einem Unternehmen als Leiter des Zentralbereichs Einkauf und Mitglied einer Führungsebene mit einem Jahresbruttogehalt von circa 450.000 Euro beschäftigt gewesen. Nachdem beim Unternehmen mehrere anonyme Verdachtsmeldungen wegen eventueller Compliance-Verstöße des Arbeitnehmers eingegangen waren, wurde unter Einschaltung einer auf die Durchführung von Compliance-Ermittlungen spezialisierten Anwaltskanzlei eine Untersuchung durchgeführt. Die Kanzlei legte einen Untersuchungsbericht vor, nach dem der Arbeitnehmer auf Kosten des Unternehmens Personen ohne dienstliche Veranlassung zum Essen eingeladen sowie gegenüber dem Unternehmen Reisekosten für von ihm unternommene Fahrten zu Champions-League-Spielen des FC Bayern München abgerechnet hatte. Die Tickets für die Spiele hatte der Arbeitnehmer auf Anforderung von Geschäftspartnern des Unternehmens erhalten.
Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis gegenüber dem Arbeitnehmer daraufhin fristlos, die Klage des Arbeitnehmers gegen die Kündigung wurde abgewiesen. Das Unternehmen klagte seinerseits gegen den Arbeitnehmer auf Ersatz der von der Anwaltskanzlei in Rechnung gestellten Ermittlungskosten in Höhe von rund 210.000 Euro. Das Arbeitsgericht lehnte die Klage ab. Das Landesarbeitsgericht sprach dem Unternehmen in der Berufung hingegen 66.500 Euro Schadensersatz für die Ermittlungskosten der Anwaltskanzlei bis zum Ausspruch zur Kündigung zu. Gegen die Entscheidung des LAG wehrte sich der Arbeitnehmer vor dem Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 29. April 2021, Aktenzeichen: 8 AZR 276/20).
Die Bundesarbeitsrichter entschieden im Sinne des Arbeitnehmers: Zwar könne ein Arbeitgeber vom Arbeitnehmer den Ersatz der durch das Tätigwerden einer spezialisierten Anwaltskanzlei entstandenen notwendigen Kosten verlangen, wenn er die Anwaltskanzlei anlässlich eines konkreten Verdachts einer erheblichen Verfehlung des Arbeitnehmers mit Ermittlungen gegen diesen beauftragt hat und der Arbeitnehmer einer schwerwiegenden vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung überführt wird. Das Unternehmen habe jedoch nicht dargelegt, dass die geltend gemachten Kosten erforderlich waren. Es fehlte aus Sicht der Richter an einer substantiierten Darlegung, welche konkreten Tätigkeiten und Ermittlungen wann und in welchem zeitlichen Umfang wegen welchen konkreten Verdachts gegen den Arbeitnehmer von der beauftragten Anwaltskanzlei ausgeführt wurden.
VAA-Praxistipp
Das Bundesarbeitsgericht hat mit seinem Urteil klargestellt, dass Arbeitgeber nicht nur Detektive, sondern auch Anwaltskanzleien zulasten des Arbeitnehmers mit der Aufarbeitung (möglicher) erheblicher Pflichtverstöße beauftragen können. Der Anspruch auf Erstattung der Kosten hängt allerdings von einer genauen Darlegung und Überprüfung der Erforderlichkeit der abgerechneten anwaltlichen Tätigkeiten ab.