Politische Agitation: kurzsichtiger Erfolg, langfristiger Schaden
Die politischen Schlagzeilen hierzulande waren in den letzten Wochen geprägt vom Asylstreit zwischen den Parteien der Bundesregierung, dem Handelskrieg zwischen den USA und dem Rest der Welt, dem Rücktritt führender britischer Minister im Streit über die Brexit-Strategie des Landes sowie der Kritik durch den NATO-Partner USA an der Höhe der deutschen Rüstungsausgaben. Gemeinsam haben diese Themen, dass man sich die Äußerungen der handelnden Politiker auf diesem Niveau und in dieser Heftigkeit vor nicht allzu langer Zeit kaum hätte vorstellen können: Donald Trump wirft der ganzen Welt vor, die USA wirtschaftspolitisch auszunehmen und reagiert mit massiven Strafzöllen. In der NATO agiert er im Stil eines Schutzgelderpressers, der die Beistandspflicht unter den Vorbehalt höherer Rüstungsausgaben stellt und Deutschlands wirtschaftliche Kooperation mit Russland im Energiesektor im gleichen Atemzug mit scharfen Worten brandmarkt. Der bisherige britische Außenminister Boris Johnson setzt bei seinem Rücktritt den Versuch, Theresa Mays Brexit-Pläne zu rechtfertigen, mit dem Polieren eines Hundehaufens gleich.
Diese Art der politischen Agitation ist nicht nur stillos, sondern sie hat auch Konsequenzen. Der Anteil der deutschen Exporte in die USA ging im Mai laut Statistischem Bundesamt deutlich zurück. Die Erwartungen der deutschen Chemiebranche für den Rest des Jahres sind laut Branchenverband VCI nach einem guten ersten Halbjahr 2018 insbesondere wegen der Gefahr eines globalen Handelskrieges zwischen den USA, China und der EU sowie den möglichen Folgen eines harten Brexits deutlich eingetrübt. In der NATO ist es das gegenseitige Vertrauen, das Schaden nimmt. Die langfristigen Konsequenzen dieses Vertrauensverlustes sind noch nicht wirklich absehbar, sie werden das Bündnis aber letztlich schwächen. In der Disziplin „Zerstörung von Vertrauen durch polterndes Auftreten“ ist auch Bundesinnenminister Horst Seehofer bewandert, der durch seine Ultimaten und Rücktrittsdrohungen im Zuge des Asylstreites mit der CDU viel Porzellan bei der Schwesterpartei und beim Ansehen der politischen Klasse in der deutschen Bevölkerung zerschlagen hat.
Was treibt diese Politiker, die zugunsten eines kurzfristigen Erfolges in Form vorläufiger Zustimmung bei der eigenen Wählerschaft langfristigen Schaden für ihre Parteien, das politische System und letztlich die ganze Gesellschaft in Kauf nehmen? Weder Donald Trump noch Boris Johnson oder Horst Seehofer fehlt die Intelligenz, die Folgen ihres Handelns zu erkennen. Somit bleibt als Erklärung nur ein knallharter Opportunismus als maßgeblicher Entscheidungskompass.
In der Wirtschaft unterstellt man den Entscheidungsträgern diese opportunistische Haltung schon länger und versucht, die Nach-mir-die-Sintflut-Haltung durch Anreizsysteme zu dämpfen, die zum Teil an den langfristigen Unternehmenserfolg gekoppelt sind. In der Politik fehlen solche Mechanismen weitestgehend. Hier muss der moralische Kompass durch die öffentliche Zustimmung und das Wahlverhalten der Bevölkerung genormt werden, was nicht einfach ist.
Die bislang hohen Zustimmungswerte für Donald Trump sprechen dafür, dass dieser Hebel in den USA entweder nicht mehr funktioniert oder noch nicht greift. Denn die vermutlich tiefgreifenden negativen Folgen seines politischen Handels für die USA könnten in der hochgradig globalisierten Weltwirtschaft schneller eintreten als gedacht. Ob das Kalkül von Horst Seehofer aufgeht, durch sein rücksichtsloses Agieren auf Bundesebene die CSU besser für die bayerischen Landtagswahlen im Herbst zu positionieren, werden wir am Wahltag, dem 14. Oktober, wissen.
Gerhard Kronisch, Hauptgeschäftsführer des VAA