Soziale Marktwirtschaft: Die Unbekannte?
Soziale Marktwirtschaft, was ist das?
Mal ist zu lesen, wir bräuchten eine neue soziale Marktwirtschaft. Dann soll die soziale Marktwirtschaft menschlich sein.
Das provoziert die Frage: Womit lässt die neue soziale Marktwirtschaft die alte hinter sich? Haben wir denn Erfahrungen mit einer unmenschlichen sozialen Marktwirtschaft gesammelt, wenn jetzt die menschliche gefordert wird? Woher kommt das Bedürfnis, das Adjektiv „sozial“ durch ein weiteres genauer zu bestimmen, wenn nicht allein der Wahlkampf Anlass dafür ist?
Das Soziale wird bekanntlich von manchen liberalen Verfechtern der Marktwirtschaft als „Wieselwort“ wenig geschätzt. Das Wort „sozial“ sage alles und nichts und sei gerade darum so bedenklich.
Die Spannweite des Sozialen reicht von Merksätzen, wie: Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht; über: Sozial ist, was Arbeit schafft; bis hin zu der Forderung, dass die starken Schultern mehr zu tragen hätten.
Diese Merksätze taugen zur Orientierung nicht wirklich.
Die Errungenschaft der Sozialversicherungen und die Vereinzelung der "flexiblen Menschen"
Denkt jeder nur an sich, ist nicht an alle als Mitglieder eines Gemeinwesens gedacht! Allerdings muss jeder an sich selbst denken: Wie sollte er sonst Verantwortung für sich und andere mit übernehmen. Sozial kann nicht alleine sein, was Arbeit schafft: Das Erwerbsleben ist nämlich nur ein Teil unseres Lebens: Noch nicht einmal der wesentliche Teil, jedenfalls für die meisten in der Bevölkerung. Allerdings finden wir es heute auch nicht sozial, Arbeit nur einigen wenigen als ihr Los zuzuweisen. Es müssen schon alle, die können, anpacken. Die Worte: „Im Schweiße deines Angesichts...“ bleiben für unser Ethos prägend.
Schließlich: Umverteilung kann immer nur soweit sozial sein, wie die dadurch organisierte Solidarität auf der dauerhaften Akzeptanz aller Beteiligten beruht und auch nach einem gedanklichen Rollentausch der Schwachen und der Starken in dieser Form gewollt wäre.
Es geht bei den gesetzlichen Sozialversicherungen nicht darum, spontan, wie etwa bei Flutkatastrophen, hilfsbereit zu sein.
Es geht um die Grundlagen zivilgesellschaftlichen Zusammenlebens. Die hohe soziale Mobilität und Flexibilität, das Ausleben der Individualität, gelingt nur, wenn die Bewältigung der großen sozialen Risiken von Alter, Armut, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität und Pflegebedürftigkeit nicht mehr ausschließlich auf dem Familienverband lastet.
Allerdings gefährdet der Erfolg des Sozialstaats diesen selbst. Die hohen Finanzierungslasten sind das eine; noch bedrohlicher mögen die sozialen Folgen der wachsenden Vereinzelung der vielen „flexiblen Menschen“ sein.
Gut versichert, frei von Bindungen, finden sie kein zuhause mehr und sind mitten im Wohlstand auf neue Art haltlos geworden.
Ich meine, der Drang, das Soziale neu zu vermessen, speist sich in der jetzigen Wirtschaftskrise aus einer neuen Quelle. Bislang konnten wir die drängende Frage: Was hält uns als Gesellschaft zusammen? noch immer auf die Nationalgesellschaften beschränken. Die jetzige Weltwirtschaftskrise zwingt uns endgültig dazu, nach dem möglichen Zusammenhalt einer Gesellschaft im Weltmaßstab zu fragen.
So vernetzt, wie sie bereits ist, kann die Weltwirtschaft überhaupt in eine Ordnung - eine soziale zumal - gebracht werden? Vielleicht wäre es eine angebrachte Bescheidenheit, in diesem Großmaßstab überhaupt nur Ordnung auf den Märkten anzustreben. Alleine eine Ordnung insbesondere der Kapital- und Finanzmärkte zu schaffen, bei der Haftung und Verantwortung wieder zwei Seiten einer Medaille sind, dürfte derzeit bereits den Ehrentitel „sozial“ verdient haben.