Corona und die Weltwirtschaft: Grenzen der Globalisierung?
Die Ausbreitung des sogenannten Coronavirus ist als Thema allgegenwärtig. Kein Wunder, denn die Auswirkungen sind weitreichend. Nicht nur für die Erkrankten, sondern für die Gesellschaft insgesamt. So ist nicht nur medizinischer Rat zum richtigen Umgang mit den Risiken des Virus gefragt, es stellen sich unter anderem auch arbeitsrechtliche Fragen. Grundsätzliches dazu beantwortet der VAA auf seiner Website und in diesem Newsletter.
Die politischen Entscheidungsträger in Deutschland sind unterdessen darum bemüht, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und seine Auswirkungen auf die Wirtschaft zu begrenzen. Denn auch wenn die Gesundheit der Menschen zweifellos und immer an erster Stelle steht: Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronapandemie werden einschneidend sein. Und diese Auswirkungen werden sich nicht auf eine vorübergehende Abkühlung der Konjunktur oder eine zeitlich begrenzte Rezession infolge der Schutzmaßnahmen beschränken.
Es werden bereits erste Stimmen laut, die das globale Wirtschaftsmodell mit seiner extremen Spezialisierung und den weltumspannenden Lieferketten infrage stellen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat beispielsweise die Frage aufgeworfen, ob es bei der Versorgung mit Medizinprodukten und Arzneimittelgrundstoffen sinnvoll sein kann, auf einen oder wenige Hersteller aus einzelnen Ländern am anderen Ende des Globus angewiesen zu sein.
Gerade weil der erste Impuls vieler Menschen lautet, diese Frage mit einem Nein zu beantworten, lohnt sich ein Blick auf die dahinterliegenden Zusammenhänge. Denn der Engpass bei der Versorgung mit bestimmten pharmazeutischen Wirkstoffen verdeutlicht in zugespitzter Form, wie die globalisierte Weltwirtschaft funktioniert: Anbieter spezialisieren sich auf die Herstellung bestimmter Produkte, weil sie für diese Produkte besonders günstige Herstellungsbedingungen nutzen können. Das kann das Fachwissen von Spezialisten sein – hier spielt Deutschland seine stärksten Karten aus – oder Faktoren wie eine günstige Infrastruktur, geringe Energiepreise, vergleichsweise niedrige Lohnkosten oder geringe Umweltstandards. Oder eine bestimmte Mischung dieser Faktoren, die für die Herstellung bestimmter Produkte an einem Standort spricht.
Wenn diese Spezialisierung mit einem freien Warenaustausch verbunden wird, können Wertschöpfungsketten entstehen, die hoch produktiv sind und auch die Produktion komplexer Güter zu marktfähigen Preisen ermöglichen. Wer meint, damit sei nur dem Wohl der Unternehmen und ihrer Aktionäre gedient, täuscht sich. Und zwar nicht nur, weil die Produkte unseres täglichen Lebens – vom Smartphone über das Auto bis zum Medikament in der Apotheke – ohne diese Arbeitsteilung spürbar teuer wären. Hinzu kommt, dass die Arbeitnehmer in der exportorientieren deutschen Wirtschaft an den Wohlfahrtseffekten dieser Form der Wertschöpfung in der Vergangenheit durch gute Löhne umfassend partizipiert haben und das bis heute tun. Wer also fordert, die globale Wertschöpfung wieder komplett zu entflechten, läuft nicht nur Gefahr, im Chor der populistischen Nationalisten mitzusingen, sondern muss auch dazusagen, dass weniger Arbeitsteilung am Ende weniger Wohlstand bedeutet.
Zur Wahrheit gehört auch, dass sich in dieser globalisierten Welt bestimmte Krankheiten sehr schnell verbreiten können. Wenn es dazu noch eines Beweises bedurft hätte, hat Corona ihn erbracht. Und wenn durch die Just-in-time-Lieferprozesse der Weltwirtschaft dann gerade die Dinge knapp werden, die in so einer Situation zum Schutz der Gesundheit der Menschen am dringendsten gebraucht werden, stellt sich in der Tat die Frage nach den Grenzen der Globalisierung.
Planwirtschaftliche Vorgaben, welche Unternehmen welche Produkte wo herzustellen und zu lagern haben, werden uns nicht weiterhelfen. Vielmehr müssen kreative wirtschaftspolitische Impulse Unternehmen Anreize bieten, die Verfügbarkeit elementarer Güter der Daseinsvorsorge sicherzustellen. Das würde Geld kosten – dem stünde jedoch eine bessere Versorgung und damit wohl auch mehr gesellschaftliche und ökonomische Gelassenheit in Krisenzeiten gegenüber.
Gerhard Kronisch, Hauptgeschäftsführer des VAA