Wir wollen keinen „closed shop“!
Von Breschnew wird der Spruch kolportiert: Bonn sei eine freundliche aber eigenwillige Stadt. Ob die Schranke nun oben oder unten sei, ganz egal, es komme immer ein Zug. Man darf mutmaßen, dass der ehemalige russische Kremlchef eher auf das karnevalistische Talent der fröhlichen Rheinländer anspielen wollte, als auf die notorisch defekten Schrankensteuerung und das einst beachtliche Aufkommen an innerstädtisch verkehrenden Fern- und Güterzügen in Bonn. Nur, wer dieser Tage am Bahnhof steht, wünschte sich manchmal: Breschnew hätte immer noch Recht. Hat er aber nicht. Züge fallen aus: Lokführerstreik.
Die Öffentlichkeit nimmt es – noch – gelassen, aber reserviert. Zu verworren ist die Situation: Die Deutsche Bahn wird für ein Ziel bestreikt, das sie betriebswirtschaftlich eigentlich wollen, aber als Tarifpartei nicht erfüllen könnte: Nämlich ein einheitliches Tarifniveau auch bei der privaten Konkurrenz.
Preisunterbietungswettläufe auf dem Rücken der Beschäftigten auszutragen, kann im Prinzip nicht den Beifall der DGB-Gewerkschaften finden. Aber würden die Kollegen der großen Eisenbahn und Verkehrsgewerkschaft (EGV) deshalb etwa der streikenden GDL Beifall klatschen? Indessen munitionieren sich die, die für gesetzliche Tarifeinheit sind, neu. Aus Prinzip! Haben Sie bei all dem den Überblick verloren? Ich gestehe, mir geht es mitunter ähnlich.
Das ist nicht gut. Wer auch immer Verantwortung in der Tarifpolitik trägt, es dient keinem, wenn die Menschen den Überblick verlieren. Dann kommen Verkürzungen auf. Aus Verkürzungen werden Schlagwörter, und mit Schlagwörtern haut man schon mal gern dazwischen .... und leider auch daneben.
„Englische Verhältnisse“, das ist so eines. Wer in Deutschland englische Verhältnisse heraufbeschwört und gleichzeitig zu deren Abwendung fordert, es möge nur noch die Gewerkschaft Tarifverträge schließen können, die die Mehrheit im Betrieb hat, der haut daneben.
In England nannte man das „closed shop“. Nur wer in der tonangebenden Gewerkschaft Mitglied war, der durfte überhaupt in dem Betrieb arbeiten. Ganz so weit möchte jetzt in Deutschland niemand gehen, aber fast so weit eben schon!
Mich wundert deshalb, dass führende Verantwortungsträger aus der Chemie beharrlich werben für diese Idee eines Gesetzes zur Tarifeinheit. Zuletzt hat das sehr deutlich der BAVC-Präsident Dr. Eggert Voscherau im <media 2293>Handelsblatt </media>getan.
Es kann keinem an Streiks gelegen sein. Schon gar nicht in zentralen Bereichen der Daseinsvorsorge. Aber Einheitlichkeit der Tarifverhältnisse, und Tarifpluralität mit stabilen industriellen Beziehungen auch unter mehreren Tarifvertragsparteien sind nicht zwingend Gegensätze! Wir, die Chemie, sind ein gutes, ja ich gehe soweit, das beste Beispiel. Der BAVC schließt in langer Tradition Tarifverträge sowohl mit der IG BCE als auch mit dem VAA ab, ja es gibt sogar dreiseitige Tarifverträge. Darüber hinaus werden zahlreiche, wichtige Fragen in branchenweiten bi- und trilateralen Sozialpartnervereinbarungen geklärt. Wir, die Chemiesozialpartner, haben allen Grund, uns dieser seit Jahren ständig erneut unter Beweis gestellten Leistung zu rühmen. Das ist best practise.
Weil ich davon zutiefst überzeugt bin, habe ich diese Argumente in einem <media 2289>offenen Brief</media> an Dr. Eggert Voscherau zusammengefasst. Wir als VAA lassen nicht nach darin, für die Traditionen der Chemie zu werben.