Zwischen Kind und Campus
In der öffentlichen Diskussion nimmt die Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Karriere bereits einen hohen Rang ein. Doch was ist mit der Zeit vor dem Berufseinstieg? Vor allem in den naturwissenschaftlichen Fachrichtungen ist ein erfolgreicher Abschluss eines Hochschulstudiums entscheidend für den optimalen Start ins Berufsleben. Doch der Weg dorthin kann ganz verschieden sein: ob penibel orientiert am Lehrplan, garniert mit wilden Partynächten oder mit einer Laissez-faire-Haltung. Manche Studierende haben für naive Universitätsromantik allerdings keine Zeit. Nämlich diejenigen, die sich für die Familiengründung während des Studiums entscheiden. Laut der aktuellen Studie des Deutschen Studentenwerks sind rund sechs Prozent aller Studierenden an deutschen Hochschulen bereits Eltern. Ein gutes Zeitmanagement und viel Organisationskraft sind vonnöten um Elterndasein und Studentenleben miteinander in Einklang zu bringen.
Besonders in den letzten Jahren, seit sich die Strukturen des Hochschulstudiums durch den Bologna-Prozess verändert haben, stehen Studierende unter erhöhtem Druck. Zum einen durch die Modularisierung der Studieninhalte und zum anderen durch die Einführung eines europäisch vergleichbaren Leistungssystems, welches den Arbeitsaufwand pro Semester festlegt. Bei der Festlegung ging man von Studierenden in Vollzeit und ohne Erwerbstätigkeit aus. Daran lassen sich bereits die ersten Hürden für studierende Eltern ableiten. Beispielsweise sind festgelegte Präsenzzeiten mit Anwesenheitspflicht mit den Betreuungszeiten eines Kindes schwer vereinbar.
Dies macht Eltern abhängig von flexiblen Betreuungseinrichtungen. Bundesweit betreiben 55 Studentenwerke 220 Kindertagesstätten mit 8.850 Plätzen.
Allerdings sind diese bei einer Anzahl von insgesamt 2.807.010 im Wintersemester 2016/2017 immatrikulierten Hochschülern, wovon rund 168.420 ein Kind haben, nicht ausreichend. Zudem entstehen für Eltern durch die Versorgung und Betreuung ihres Kindes zeitliche Engpässe, die ihre Chancen auf eine Nebentätigkeit mindern und somit finanzielle Hürden nach sich ziehen. In erster Linie betrifft dies Mütter, die sich in der Regel nach der Geburt der Vollzeitbetreuung widmen und ein oder mehrere Urlaubssemester in Anspruch nehmen. Dadurch erlischt jedoch der Anspruch auf BAföG und macht Frauen meist abhängig vom Partner oder den Eltern.
So werden junge Familien häufig in die klassische Rollenverteilung zurückgeworfen – der Mann studiert und arbeitet, während die Frau zu Hause bleibt und sich um die Erziehung der Kinder kümmert. Folglich machen sich mehr Frauen als Männer Sorgen um die Vereinbarkeit von Familie, Studium und beruflicher Zukunft. Grundsätzlich steht der Wunsch, die Arbeit gut mit dem Privatleben und der Familie vereinbaren zu können, an vierter Stelle der wichtigsten Anforderungen an den künftigen Beruf. Dies zeigt: Die Frage der Vereinbarkeit und Chancengleichheit ist sowohl im Studium als auch im künftigen Erwerbsleben nach wie vor überwiegend ein Problem für Mütter. Aber auch für Väter stehen unflexible Präsenzzeiten im Studium einer Erwerbstätigkeit zur finanziellen Versorgung der Familie entgegen.
Dr. Christoph Gürtler
2. Vorsitzender des VAA