Gesundheitsschutz: BAG stärkt Betriebsräte
Für eine Mitbestimmung des Betriebsrates beim Gesundheitsschutz muss keine konkrete Gesundheitsgefahr im Betrieb nachgewiesen werden. Vielmehr reicht eine Gefährdung der Gesundheit aus, die entweder feststeht oder durch eine Gefährdungsbeurteilung ermitte
Der Betriebsrat einer großen Mode-Einzelhandelskette hatte sich mit dem Unternehmen nicht auf die im Betrieb notwendigen Gesundheitsmaßnahmen einigen können. Deshalb wurde die Einigungsstelle angerufen, die in einem Spruch „Akute Maßnahmen des Gesundheitsschutzes“ festlegte. Dazu gehörten auch Einzelmaßnahmen wie eine maximale Stehzeit von vier Stunden und die Abwechslung zwischen stehenden und sitzenden Tätigkeiten. Das Unternehmen wand sich vor dem Arbeitsgericht gegen die Wirksamkeit des Spruches der Einigungsstelle, da die Regelungen nicht vom Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates beim Gesundheitsschutz gedeckt gewesen seien. Dafür hätte aus Sicht des Arbeitgebers eine konkrete Gesundheitsgefahr vorliegen müssen, die hier nicht bestanden habe. Das Arbeitsgericht lehnte den Antrag des Arbeitgebers ab, das Landesarbeitsgericht gab ihm hingegen recht.
Inzwischen hat auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) über den Fall entschieden und dabei seine bisherige Rechtsprechung korrigiert (Urteil vom 28. März 2017, Aktenzeichen: 1 ABR 25/15). In früheren Entscheidungen hatte das BAG für die zwingende Mitbestimmung des Betriebsrates beim Gesundheitsschutz eine konkrete Gesundheitsgefahr im Betrieb vorausgesetzt, für die nach der BAG-Definition ein Schaden für die Gesundheit der Beschäftigten hinreichend wahrscheinlich sein muss. Mit dem aktuellen Urteil sind die BAG-Richter von dieser Linie abgerückt und entschieden, dass bereits nunmehr eine Gesundheitsgefährdung für die zwingende Mitbestimmung des Betriebsrates ausreicht.
Eine solche Gesundheitsgefährdung liegt vor, wenn ein Gesundheitsschaden für die Beschäftigten möglich erscheint. Allerdings muss die Gesundheitsgefährdung durch eine Gefährdungsbeurteilung im Sinne des § 5 Absatz 1 Arbeitsschutzgesetz festgestellt werden. Im vorliegenden Fall hatte die Einigungsstelle sich zwar mit den Gesundheitsgefährdungen im Betrieb befasst, hatte aus Sicht des BAG aber nicht die erforderliche Kompetenz zur Vornahme einer Gefährdungsbeurteilung im Sinne des Gesetzes. Denn die Einigungsstelle sei weder die nach § 13 Absatz 1 Arbeitsschutzgesetz verantwortliche Person für die Erfüllung der Arbeitsschutzpflichten noch konnten diese nach § 13 Absatz 2 Arbeitsschutzgesetz an sie delegiert werden. Da es somit an einer wirksamen Feststellung konkreter Gefährdungen fehlte, an denen die Einigungsstelle die getroffenen Regelungen hätte ausrichten müssen, erklärte das BAG den Spruch der Einigungsstelle für unwirksam.
VAA-Praxistipp
Obwohl das BAG in diesem Fall nicht im Sinne des Betriebsrates entschieden hat, stellt das Urteil eine deutliche Stärkung für die Rolle der Betriebsräte beim betrieblichen Gesundheitsschutz dar. Denn mit der geänderten Rechtsprechung hat das BAG die Hürden für eine Mitbestimmung bei diesem Thema deutlich abgesenkt. Wichtig ist, dass der Betriebsrat auf eine rechtlich wirksame Gefährdungsbeurteilung hinwirkt, an der die Maßnahmen des Gesundheitsschutzes ausgerichtet werden können.