"Mein Gott, lass mich die Grippe machen" - oder impfen?
Die schnelle Ausbreitung der Schweinegrippe bringt das Thema Massenimpfungen wieder in die Diskussion. Wir haben hierzu Dr. Michael Reuter, Mediziner im Pharmaunternehmen sanofi-aventis, befragt.
VAA: Warum ist bei der Schweinegrippe die Pandemie ausgerufen worden?
Dr. Reuter: Die Pandemie ist ausgerufen worden, weil sich dieses Virus so schnell in der ganzen Welt verbreitet, wie alle anderen Viruserkrankungen in der letzten Zeit nicht. Das besondere dieses Virus ist, dass es seinen Wirt in Sicherheit wiegt. Außer in Einzelfällen führt es ja nicht zu schweren Krankheitsverläufen. Es muss aber nur eine Mutation des Virus auftreten; dann haben Sie eine unkontrollierbare Pandemie!
VAA: Wie ist es zu erklären, dass die Bevölkerung im Falle der Schweinegrippe so zurückhaltend auf die Impfmöglichkeit reagiert?
Dr. Reuter: Das liegt wohl daran, dass der sichtbare Krankheitsverlauf meist relativ harmlos verläuft. Dafür wird die schwelende, mittelbare Gefahr, die dem Menschen aber nicht ohne weiteres erkennbar ist, nicht gesehen. Da sagt jeder: Ja mein Gott, lass mich doch meine Grippe machen. Bisher haben sich nur 5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland gegen die Schweinegrippe impfen lassen. Gäbe es hingegen Meldungen über zahlreiche Todesfälle, sähe die Beteiligung wohl ganz anders aus. Es sind etwa 3,7 Millionen Dosen Impfstoff produziert worden. Dies würde reichen, um 60 Prozent der Bevölkerung cirka zweimal zu impfen. Sollten sich die Krankheitsverläufe verschlimmern, wird auch die Impfwilligkeit sprunghaft ansteigen. Hätten wir allerdings bereits schwere Krankheitsverläufe gehabt, dann hätten wir wohl Verteiligungsschwierigkeiten bekommen, denn wir haben ja durch den bisherigen Verlauf der Massenimpfung gelernt, dass wir das Impfstoff-Verteilsystem verbessern müssen.
VAA: Bevor neue Medikamente auf den Markt kommen, durchlaufen diese lange Zulassungsverfahren, meistens über mehrere Jahre, bis sie genehmigt werden. Wie ist es zu erklären, dass Impfstoffe so schnell verfügbar sind?
Dr. Reuter: Üblicher Weise werden Grippeimpfstoffe für die normale Grippe mit etwa einem Jahr Vorlauf so hergestellt, dass sie zu Beginn der Wintersaison fertig sind. Beim Schweinegrippevirus hat man die Pandemiegefahr erst erkannt, als die anderen „normalen“ Impfstoffe quasi schon produziert waren. Im Februar hatte das Robert Koch Institut die Empfehlung ausgesprochen, Risikopatienten gegen den Schweingrippevirus zu impfen. Es war absehbar, dass im Herbst oder Winter eine zweite Welle der Grippeerkrankungen auftreten würde. Die Impfstoffe wurden dann parallel entwickelt, nur die Testphase für den zusätzlichen Stoff gegen Schweingruppe wurde verkürzt. Letztendlich entscheidet die Ständige Impfkommission beim Robert Koch Institut über die Zulassung des Stoffes.
Kein Mediziner würde einen Stoff zulassen, von dessen Sicherheit er nicht überzeugt ist. Stellen Sie sich das bei einer Massenimpfung vor. Das wäre ja fatal. Ich gehe auch davon aus, dass im nächsten Jahr der Impfstoff gegen die Schweingrippe nicht getrennt sein wird, sondern in der allgemeinen Grippeimpfung enthalten sein wird.
VAA: Welche Rolle hat oder sollte die Pharmaindustrie bei der Aufklärung der Fachöffentlichkeit und der allgemeinen Öffentlichkeit haben?
Dr. Reuter: Zunächst mal darf man für Medikamente ja nicht werben. Einen Werbespot: „ Ich lasse mich impfen, weil ...“ von der Pharmaindustrie kann ich persönlich mir nicht vorstellen. Die Aufklärung an sich ist Aufgabe der behandelnden Ärzte oder der dazu ausgewählten Ärzte, etwa der Betriebsärzte. Die Herstellerfirmen selbst klären ja über die Beipackzettel auf. Sie könnten sicherlich begleitetendes Material hinzulegen. Aber das müssten sie alles mit den zuständigen Ämtern abstimmen. Man kann eigentlich nur reagieren, indem man beruhigend, begleitend aufklärt. Man muss sehr vorsichtig sein, bei der ohnehin verunsicherten Bevölkerung, mit zusätzlichen Maßnahmen an die Presse zu gehen. Allenfalls, dass man mit Pharmadienst ängstliche Ärzte berät, und denen noch einmal erklärt, wie alles war. Denn die Ärzte waren ja auch verunsichert.
VAA: Sollte die Pharmaindustrie in dieser Verunsicherung überhaupt aufklären, aufklären wollen?
Dr. Reuter: Wenn Sie mich ganz ehrlich fragen, sollten die zuständigen Stellen, die Gesundheitsämter, die Ministerien und so weiter, informieren, und zwar hinreichend, rechtzeitig und nicht verwirrend. Das ist nicht schnell genug angelaufen, denn die Verunsicherung war schon da, als die Informationsblätter kamen. Die sind gut und umfassend, aber sie hätten rascher und bundesweit einheitlich da sein sollen. Sie müssen ja auch die Ärzte mit ins Boot holen.
VAA: Eine letzte Frage, Dr. Reuter: Haben Sie sich impfen lassen?
Dr. Reuter: Ja, nach einigem Ringen.