Bundespräsidentenwahl: der Anti-Trump
Amerika hat gewählt und sich für Donald Trump als nächsten Präsidenten entschieden. Viele Europäer reiben sich seit der Wahlnacht verwundert die Augen und fragen sich, wie das passieren konnte. Wie konnte ein ausgewiesener Populist ohne jede politische Erfahrung an die Spitze des wirtschaftlich, politisch und militärisch einflussreichsten Staates der Welt gewählt werden?
Ein Teil der Antwort ist sicherlich in der Tatsache zu suchen, dass Trumps Gegenkandidatin zwar den liberalen Grundkonsens von Offenheit, Vielfalt und Toleranz verkörpert, von vielen Amerikanern aber als Vertreterin eines politischen Systems gesehen wird, das nur den Eliten nützt. Damit ist eine politische Frontlinie beschrieben, die sich so oder ähnlich derzeit in vielen westlichen Demokratien finden lässt. In fast allen Ländern Europas sind Rechtspopulisten auf dem Vormarsch, in Großbritannien haben sie mit dem EU-Austritt zuletzt sogar eine politische Entscheidung von weitreichender Bedeutung erzwungen.
Offenbar verursachen der stetige Wandel und die zunehmende Komplexität unserer Lebensverhältnisse, die immer stärker durch die Globalisierung bestimmt werden, in Teilen der Bevölkerung das Gefühl, abgehängt zu sein und den politischen Eliten nicht mehr trauen zu können.
Die grassierende Renationalisierung und die wachsende Skepsis gegenüber Freihandel und Marktwirtschaft geben einen unschönen Vorgeschmack darauf, wie sich die Dinge im sogenannten postfaktischen Zeitalter entwickeln könnten. In Zeiten wie diesen sind politische Signale wichtig. Die Entscheidung der großen Koalition, Frank-Walter Steinmeier für die Wahl des Bundespräsidenten im nächsten Jahr zu nominieren, ist so ein Signal. Steinmeier ist nicht nur ruhig und besonnen, sondern bringt als erfahrener Innen- und Außenpolitiker auch die Expertise mit, die ein Staatsoberhaupt in unserer komplexen Gesellschaft braucht. Beides unterscheidet ihn – neben anderen Dingen – von Donald Trump. Er ist aber auch – und das unterscheidet ihn von Hillary Clinton – bei den Menschen beliebt, die er repräsentieren soll.
Wie in anderen Ländern stehen die Politiker in Deutschland vor der Aufgabe, den Menschen ihre Entscheidungen besser zu erklären. Sie so zu begründen und zu vermitteln, dass sie von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen werden. Frank-Walter Steinmeier wird zu dieser Herausforderung als Bundespräsident einen wichtigen Beitrag leisten können – und müssen.
Gerhard Kronisch, Hauptgeschäftsführer des VAA