Energie: Ressourcen schonen, Versorgung sichern
Lange Monate mussten sich die Bürger gedulden, bis die Spekulationen über das bereits im letzten Jahr angekündigte Energiekonzept der Bundesregierung ein Ende hatten. Nun liegen die Fakten auf dem Tisch, aus Thesen sind handfeste Tatsachen geworden: Dem neuen Konzept zufolge soll bis 2050 der Anteil erneuerbarer Energien an der Gesamtenergieversorgung auf 60 Prozent erhöht und der Ausstoß an CO2-Emissionen um 80 Prozent reduziert werden. Des Weiteren plant die Regierung, großzügige Anreize für die energetische Gebäudesanierung zu setzen, die Stromnetze zu erneuern und auszubauen sowie die Laufzeiten für Atomkraftwerke um 8 bis 14 Jahre zu verlängern.
Bis zum von Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündeten „Herbst der Entscheidungen“ bot die schwarz-gelbe Regierungskoalition ein Bild der Zerrissenheit. Im Machtkampf zwischen den „Laufzeitskeptikern“ um Umweltminister Norbert Röttgen und „Laufzeitverfechtern“ um Wirtschaftsminister Rainer Brüderle wurden tagtäglich neue Thesen enthüllt, nur um kurz darauf dementiert oder einkassiert zu werden. Das erwartete Dauerfeuer der Opposition zum geplanten Ausstieg aus dem rot-grünen Atomkonsens geriet schon fast zur Nebensache. Klar ist: Es wird noch einige Zeit dauern, bis in dieser Frage Rechtssicherheit herrscht, da SPD und Grüne erwartungsgemäß vor dem Bundesverfassungsgericht wegen der Umgehung des Bundesrates beim Laufzeitbeschluss klagen werden. Klar ist aber auch: Jahrelanges Lavieren und Taktieren schadet Wirtschaft, Umwelt und Verbrauchern gleichermaßen.
Die Verengung der Debatte auf die Zweckmäßigkeit der AKW-Laufzeitverlängerungen ist höchst ärgerlich. Zum einen, weil sie den gewaltigen Herausforderungen im Zusammenhang mit der künftigen Energieversorgung nicht gerecht wird. Zum anderen, weil – umstritten oder nicht – nun erstmals ein echtes integriertes energiepolitisches Gesamtkonzept vorliegt. Allein dies ist eine Leistung, die durchaus honoriert werden darf. Ob das Sprichwort „Was lange währt, wird gut“ auch für das Energiekonzept der Bundesregierung gilt, hängt nun entscheidend von der Konsequenz ab, mit der es umgesetzt wird. Denn wir alle brauchen langfristige Versorgungssicherheit, und zwar zu fairen Preisen. Dies gilt in besonderer Weise für die energieintensive Chemische Industrie. Krisenbedingt sind die Strompreise im letzten Jahr um etwa 25 Prozent gefallen. Doch nach wie vor gehört Deutschland zu den Ländern mit den weltweit höchsten Industriestrompreisen.
Und mit dem steigenden weltweiten Energiebedarf werden auch die Preise wieder anziehen. Die Risiken für die Industrie sind dabei enorm. Aufgrund der hohen Grundkosten von aktuell 9,21 Cent je Kilowattstunde für industrielle Unternehmen mittlerer Größe (Quelle: Eurostat) wirken sich auch kleinste Preisschwankungen im Nachkommabereich mittelfristig auf die Wettbewerbsfähigkeit aus. Ein Zehntelcent schlägt hier mit Millionen Euro zu Buche. Übrigens: Für die Versorgungswirtschaft gilt dieses Risiko nicht, da sie die Kosten zumindest in der Vergangenheit größtenteils an ihre Kunden weiterreichen konnte.
Wie kann man steigenden Strompreisen am besten begegnen und gleichzeitig die Verantwortung für den Klimaschutz wahrnehmen? Mit mehr Energieeffizienz und Ressourcenschonung. Und da wären wir zurück beim Energiekonzept, das durchaus die richtigen Signale setzt. Auch die vor kurzem beim Bundesamt für Geowissenschaften und Rohstoffe eingerichtete Deutsche Rohstoffagentur ist ein Schritt in die richtige Richtung. Sie soll Beratungskompetenzen beim Thema Rohstoff- und Energieversorgung bündeln, ein Informationssystem für die Industrie aufbauen und für Transparenz auf den Rohstoffmärkten sorgen. Ebenso positiv stimmt an dieser Stelle die Hightech-Strategie 2020 der Bundesregierung, die bereits zu Zeiten der Großen Koalition auf den Weg gebracht und nun dem Bundestag vorgestellt wurde. Zu den Kernprojekten der Strategie gehören die Flexibilisierung der Energieversorgung, der Umstieg auf nachwachsende Rohstoffe und der demografische Wandel. Das alles sind Themen, die für die Industrie höchste Relevanz besitzen.
Dem Herbst der Entscheidungen müssen nun Jahrzehnte der Tat folgen, damit uns der Umstieg auf eine nachhaltige Energieversorgung gelingt. Wir dürfen unsere Zukunft nicht durch weiteres Zögern leichtfertig aufs Spiel setzen.
Ihr Thomas Fischer