Jahresarbeitszeit: Fit für Industrie 4.0
In den letzten Tagen erreichte uns eine bemerkenswerte Nachricht. Der Werkzeugmaschinen- und Laserhersteller Trumpf schafft die Wochenarbeitszeit ab. Stattdessen wird die Arbeitszeit jetzt übers Jahr bemessen. Das sieht das neue agile Zeitsystem des Unternehmens vor. Dabei öffnet das Unternehmen das Gleitzeitkonto seiner Mitarbeiter innerhalb eines Jahres auf einen Korridor zwischen +200 Stunden und -100 Stunden. Die Mitarbeiter arbeiten dann viel, wenn die Auftragslage gut ist, und bauen die Zeit wieder ab, wenn es weniger zu tun gibt. Am Ende des Jahres muss das Konto wieder ausgeglichen sein.
Führungskräfte und Mitarbeiter können bei Trumpf eigenständig darüber entscheiden, ob im agilen Zeitsystem gearbeitet werden soll oder nicht, ohne Abstimmung mit Geschäftsführung oder Betriebsrat. So kann das Unternehmen unbürokratisch und schnell auf kurzfristige Auftragsschwankungen reagieren. Die Mitarbeiter profitieren im Gegenzug von längeren Auszeiten zusätzlich zum Urlaub.
Wenn der Maschinenbauer nun mit diesem neuen Beschäftigungspakt auf mehr Flexibilität setzt, so hat er die Umwälzungen vor Augen, die die Digitalisierung mit sich bringt und die den Arbeitsalltag verändern werden. Volatilere Märkte und kürzere Produktlebenszyklen werden die Unternehmen dazu zwingen, noch mehr Flexibilität als bisher zu praktizieren. Es ist einfach nicht mehr zeitgemäß, eine Arbeitsteilung bis in letzte Detail zu praktizieren. Viel zu viele Details werden immer noch in den Tarifen beschrieben.
Trumpf hat zu Recht darauf verwiesen, dass es mit dieser Regelung nicht nur um Effizienzgewinne, sondern auch um die Zufriedenheit der Mitarbeiter geht. Die wird auch dadurch erreicht, dass den Mitarbeitern eine Beschäftigungsgarantie bis zum Jahr 2021 geboten wird. Außerdem können sie, sofern ihre Aufgabe dafür geeignet ist, rund 20 Prozent ihrer Arbeit mobil erledigen.
Die neue Regelung fordert den Mitarbeitern natürlich ein hohes Maß an Veränderungsbereitschaft ab, und zwar quer durch alle Hierarchiestufen. Um die zu fördern, setzt das Unternehmen auch auf Anreize zur Weiterbildung. Jeder Mitarbeiter hat ein Budget von 1000 Punkten. Bucht man Kurse, die dem Einzelnen in seinem Job eher weniger nutzen, werden viele Punkte abgebucht. Fragt er innovative Themen ab, muss er nur wenige Punkte einsetzen. Diese neuen Regelungen machen den Mitarbeiter freier in der Gestaltung seiner Arbeitswelt. Er wird unabhängiger hinsichtlich des Ortes, aber auch hinsichtlich der Verteilung der Arbeitszeit. Das hat Auswirkungen, auch in Form einer besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben.
Die größte Herausforderung wird meines Erachtens sein, die anstehenden Umwälzungen in der Arbeitswelt den Mitarbeitern gut und vor allem rechtzeitig zu kommunizieren. Dass die Digitalisierung Auswirkungen hat, haben viele Menschen erkannt. Dass sie jedoch davon auch ganz persönlich betroffen sein könnten, haben viele noch nicht vollständig verinnerlicht. In jedem Fall ist die Entscheidung zur Jahresarbeitszeit bei Trumpf ein Schritt in die richtige Richtung.
Gerhard Kronisch, Hauptgeschäftsführer des VAA