Europarecht: Fettleibigkeit als Diskriminierungsgrund?
Krankhaftes Übergewicht kann im europarechtlichen Sinne unter den Begriff "Behinderung" fallen, wenn es ein Hindernis für die gleichberechtigte Teilhabe am Berufsleben darstellt. Das hat der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof klargestellt.
Einem bei einer dänischen Gemeinde als Tagesvater angestellten Arbeitnehmer war im November 2010 nach 15 Beschäftigungsjahren unter Hinweis auf einen Rückgang der Zahl zu betreuender Kinder gekündigt worden. Der Arbeitnehmer hatte während der gesamten Dauer seiner Beschäftigung nie weniger als 160 Kilogramm gewogen und war aus medizinischer Sicht mit einem BMI von 54 als krankhaft fettleibig einzustufen. Das Körpergewicht des Klägers war bei einer offiziellen Anhörung anlässlich der Kündigung erörtert worden, der Arbeitgeber bestritt jedoch einen Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitnehmer klagte vor dem dänischen Bezirksgericht auf Schadensersatz mit der Begründung, er sei wegen seines Gewichts diskriminiert worden. Das Bezirksgericht bat daraufhin den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Klarstellung, ob das Europarecht ein eigenständiges Verbot der Diskriminierung wegen Adipositas enthält. Weiterhin wollten die dänischen Richter geklärt wissen, ob Fettleibigkeit als Behinderung eingestuft werden kann und somit in den Anwendungsbereich der Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf fällt.
Fettleibigkeit als Behinderung
Der Generalanwalt am EuGH hat am 17. Juli 2014 in seinem Schlussantrag zur Anfrage des dänischen Bezirksgerichtes ausgeführt, dass krankhaftes Übergewicht im Europarecht keinen eigenen Diskriminierungsgrund darstellt (Rechtssache C-354/13).
Unter bestimmten Voraussetzungen könne Adipositas jedoch als Behinderung im Sinne der Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf eingestuft werden. Als Behinderung seien in diesem Zusammenhang Einschränkungen zu verstehen, die sich aus langfristigen physischen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen ergeben, die den Betroffenen an der mit anderen Arbeitnehmern gleichberechtigten Teilhabe am Berufsleben hindern können. Allerdings könne nur eine schwere Adipositas mit einem BMI von über 40 zu Einschränkungen wie Problemen bei Mobilität, Belastbarkeit und Stimmung führen, die eine "Behinderung" darstellen.
Praxis-Tipp
Mit seiner Ausführung hat der EuGH-Generalanwalt klargestellt, dass extreme Fettleibigkeit eine Behinderung im europarechtlichen Sinne darstellen kann und damit auch entsprechende Anti-Diskriminierungsregelungen gelten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Kläger selbst – zum Beispiel durch übermäßige Energieaufnahme – zum Eintritt seiner Behinderung beigetragen hat. Der Generalanwalt verweist hierbei darauf, dass andernfalls auch körperliche Behinderungen infolge leichtfertig eingeganener Risiken im Sport oder im Straßenverkeht vom Begriff der Behinderung ausgeschlossen wären.
Ob auch die deutschen Arbeitsgerichte Fettleibigkeit als Diskriminierungsgrund einstufen, bleibt abzuwarten.