Gesetzlich oder vertraglich – welche Kündigungsfrist gilt?
Eine einzelvertraglich vereinbarte Kündigungsfrist hat nur dann Vorrang gegenüber der gesetzlichen Kündigungsfrist, wenn sie zu einer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt. Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Urteil entschieden.
Konkret hat eine als Leiterin der Qualitätssicherung außertariflich angestellte Arbeitnehmerin im Bereich der Radiografie mit ihrem Arbeitgeber über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung gestritten. Laut dem im Jahr 2005 vereinbarten Anstellungsvertrag für AT-Angestellte betrug die beiderseitige Kündigungsfrist sechs Monate – jeweils zum 30. Juni oder zum 31. Dezember des Jahres. Aufgrund einer Betriebsschließung zum 30. Juni 2013 wurde die seit über 20 Jahren beim Unternehmen beschäftigte Arbeitnehmerin am 19. Dezember 2012 „unter Wahrung der arbeitsvertraglichen Kündigungsfrist ordentlich zum 30. Juni 2013“ gekündigt.
Gegen die Kündigung hat die AT-Angestellte Klage erhoben. Dabei berief sich die Klägerin unter anderem auf die Notwendigkeit der Wahrung der für sie geltenden gesetzlichen Frist von sieben Monaten zum Ende eines Kalendermonats, wonach die Kündigung erst zum 31. Juli 2013 hätte erfolgen können und daher unwirksam sei. Der beklagte Arbeitgeber hingegen war der Meinung, dass sich die vertragliche Kündigungsfrist gegen die gesetzliche Regelung durchsetze, da sie für die längere Zeit innerhalb eines Kalenderjahres den besseren Schutz biete. Darauf stellte das zuständige Arbeitsgericht Berlin erstinstanzlich fest, dass die Kündigung zwar wirksam, aber erst zum 31. Juli 2013 erfolgt sei. In der Berufung vor dem Landesarbeitsgericht wurde die Klage insgesamt abgewiesen.
Im Urteil vom 29. Januar 2015 (Aktenzeichen: 2 AZR 280/14) hob das BAG hervor, dass die Revision vonseiten der Klägerin teilweise begründet sei und das Arbeitsgericht Berlin in der Sache zutreffend entschieden habe. Nach Ansicht der Erfurter Arbeitsrichter konnte die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht mit einer Frist von sechs Monaten zum Halbjahresende auflösen.
Vielmehr musste der Arbeitgeber die Frist von sieben Monaten zum Monatsende einhalten. Dennoch war die Kündigung für den Zweiten Senat des BAG wirksam – nur eben mit einer umgedeuteten Kündigungsfrist.
Dem obersten deutschen Arbeitsgericht zufolge kann eine einzelvertraglich vereinbarte Kündigungsfrist die gesetzliche nur dann verdrängen, wenn sie zwingend länger ist. Und dies setzt einen sogenannten abstrakten Günstigkeitsvergleich voraus. Kündigungsfrist und Kündigungstermin sind laut BAG als Einheit zu betrachten. Dabei komme es nicht auf den konkreten Ausspruch der Kündigung, sondern auf den Vertragsabschluss als Vergleichszeitpunkt an. Offengeblieben ist zwar die Frage, ob die vertragliche Frist immer nur an der jeweiligen gesetzlichen Stufe oder grundsätzlich an der letzten Stufe zu messen sei. Denn mit steigender Betriebszugehörigkeit steigen auch die gesetzlichen Kündigungsfristen. Allerdings haben die BAG-Richter in ihrer Urteilsbegründung angedeutet, dass es sich bei den gesetzlichen Stufen um selbstständige Bestimmungen handele und daher von einer Anwendbarkeit auf die konkrete Fristbeurteilung auszugehen sei.
VAA-Praxistipp
Mit ihrem Urteil haben die obersten Arbeitsrichter klargestellt, dass beim Günstigkeitsvergleich zwischen vertraglichen und gesetzlichen Kündigungsfristen stets die aus Sicht des Arbeitnehmers längere Frist gilt. Deshalb empfiehlt es sich für Arbeitnehmer, ihre bestehenden Arbeitsverträge noch einmal in diesem Punkt zu überprüfen. Dabei sollte auch immer die der Dauer der Betriebszugehörigkeit entsprechende gesetzliche Stufe berücksichtigt werden. Im Zweifel können VAA-Mitglieder den <link http: www.vaa.de rechtsberatung>Juristischen Service des VAA konsultieren.