Eurokrise: Kompromiss und Führung
Siebzehn Stunden tagten die Staats- und Regierungschefs der Eurostaaten in Brüssel, bevor der Durchbruch im Griechendrama erzielt wurde. Erreicht wurde er nach harten Verhandlungen über einen schwer erkämpften Kompromiss, ohne den es nun einmal in einer Gemeinschaft souveräner Staaten und gleichberechtigter Demokratien nicht geht. Der Grexit ist abgewendet, die unabsehbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen, die ein Scheitern des Gipfels gezeitigt hätte, vermieden. Die kommenden Wochen und Monate werden nichtsdestoweniger spannend bleiben. Die Griechen müssen „liefern“, und zwar über einen langen Zeitraum. Und viele Parlamente der Euroländer müssen zustimmen.
Wir Führungskräfte begrüßen dieses Ergebnis. Es ist ein typisch europäischer Kompromiss. Ein Kompromiss, der das kleinere Übel und ein geringeres Risiko bedeutet als ein möglicherweise ungeordneter Austritt Griechenlands aus dem Euro. Wir begrüßen ihn aber auch, weil er die Notwendigkeit zeigt, sich auch dann zusammenzuraufen, wenn man unterschiedliche, ja gegensätzliche Positionen vertritt. Grob gesagt vertraten die nördlichen Eurostaaten eine striktere Finanz- und Geldpolitik als die südlichen und bestanden stärker auf dem Primat des Rechts und der Wirtschaft, während die südlichen eher das Primat der Politik einforderten. Diese Unterschiede bleiben auch über den Tag der Einigung hinaus bestehen. Daher wird es darauf ankommen, in den kommenden Monaten glaubwürdige Regelungen über den Umgang mit schwächelnden Staaten auszuarbeiten. Ich halte auch ein Insolvenzrecht für Staaten der Eurozone für notwendig.
In diesen Verhandlungstagen wurde aber auch deutlich, wie notwendig Führung gerade in äußerst konfliktreichen Situationen ist. Als die Lage zwischen dem nördlichen und südlichen Lager so verfahren war, dass eine Einigung kaum möglich schien, hat ein Mann Führung übernommen: Wolfgang Schäuble. Mit seinem Papier über einen zeitweiligen Austritt Griechenlands aus dem Euro hat er sich nicht nur den Zorn der meisten Teilnehmer der Konferenz und teilweise sehr harsche Prügel der Öffentlichkeit („unverantwortlich, Staatsstreich, es reicht …“) zugezogen, sondern er hat – feine Ironie der Geschichte – mit dieser Gabe zur gezielten Provokation eine Einigung überhaupt erst ermöglicht. Nicht nur, dass er Tsipras unter Druck setzte. Wichtig war sein Ziel, dass Reformverweigerung in Europa keine Schule macht. Am wichtigsten aber war, dass er – von der Öffentlichkeit kaum bemerkt – den Nordländern durch diese harte Position eine Brücke baute, über die sie zum Kompromiss mit Griechenland gehen konnten. Führung zu übernehmen kann manchmal ziemlich unpopulär sein. Nötig ist es trotzdem.
Gerhard Kronisch, Hauptgeschäftsführer des VAA