Arbeitswelt von morgen: Traum oder Alptraum?
Es ist fast schon eine Binsenweisheit: In Wissenschaft, Wirtschaft und Politik besteht Konsens, dass die Digitalisierung unsere Arbeitswelt verändern wird. Ob Industrie 4.0 oder Arbeit 4.0, ob Internet of Things oder Smart Factory: An Begrifflichkeiten zur Umschreibung des Wandels fehlt es wahrlich nicht.
Auch bei den Prognosen über die konkreten Auswirkungen der fortschreitenden Digitalisierung auf bestimmte Berufsbilder und Arbeitsplätze herrscht Vielfalt. Einige Szenarien prognostizieren Gesellschaften, in denen die meisten Arbeiten von Maschinen verrichtet werden und die Menschen infolge der dadurch massiv gestiegenen Produktivität ökonomisch aus dem Vollen schöpfen können. Die Finanzierung starker sozialer Netze – sogar bedingungsloser Grundeinkommen in ansehnlicher Höhe – wäre kein Problem mehr. Die weggefallenen Jobs würden zum Teil durch neue Tätigkeiten und zum Teil durch mehr Freizeit ersetzt. Andere Visionen der künftigen Arbeitswelt sind deutlich düsterer und sehen eine massive Verknappung von Arbeitsplätzen voraus, deren Bezahlung eine Lebensstandardsicherung garantiert.
Der Digitalisierungsexperte Kevin Kelly sieht beispielsweise in der Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit Robotern die Schlüsselqualifikation in der Zukunft: „You’ll be paid in the future based on how well you work with robots“, schrieb er im US-amerikanischen Technikmagazin Wired.
Eines scheint festzustehen: Durch die Digitalisierung und die Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz werden nicht nur einfache Tätigkeiten automatisiert, sondern in zunehmendem Maß auch Berufsbilder mit höheren Qualifikationsanforderungen verändert oder verdrängt.
Teilweise sind diese veränderten Realitäten auf dem Arbeitsmarkt schon angekommen: Laut einer kürzlich vorgestellten Studie der OECD ist der Anteil von Jobs an der Gesamtbeschäftigung, für die ein mittleres Qualifikationsniveau erforderlich ist, zwischen 1995 und 2015 im OECD-Raum um fast zehn Prozent gesunken. Gleichzeitig ist der Anteil an Arbeitsplätzen mit hohen Qualifikationsanforderungen deutlich – um fast acht Prozent – und der Anteil mit niedrigen Qualifikationsanforderungen um fast zwei Prozent gestiegen. In Deutschland fällt diese strukturelle Verlagerung zwar nicht ganz so umfassend aus, bewegt sich aber in die gleiche Richtung. Im produzierenden Gewerbe ist die wachsende Polarisierung auf den Arbeitsmärkten laut OECD vor allem durch den technologischen Wandel begründet, also insbesondere die Digitalisierung.
Bleibt die Frage, wie Wirtschaft, Politik und Gesellschaft diesen Wandel mitgestalten sollten, damit auch in Zukunft Wohlstand und Wohlergehen für möglichst viele Menschen sichergestellt sind. Wir sind nicht nur gefordert, die Qualifizierung in digitalen Kompetenzen tief in unseren Bildungs- und Weiterbildungssystemen zu verankern, sondern müssen uns auch über die künftige Verteilung von Arbeit und Wohlstand verständigen. Und diese Aufgabe wird uns keine Maschine abnehmen, auch keine digitalisierte.
Gerhard Kronisch, Hauptgeschäftsführer des VAA