Grüne Gentechnik: Aktionismus statt Verbraucherschutz
Europa durchlebt turbulente Zeiten. Nicht zum ersten und sicher nicht zum letzten Mal in seiner ereignisreichen Geschichte. Auch wenn es schwerfallen mag: Nicht allein täglich neue Hiobsbotschaften aus Athen, Madrid oder Rom bestimmen unser Leben als Verbraucher und Arbeitnehmer. Abseits der Finanz- und Währungskrise werden ebenfalls wichtige Entscheidungen getroffen. In Berlin und – was immer häufiger der Fall ist – in Brüssel.
Nun besagt eine neue Vorgabe aus Brüssel, dass der Import gentechnisch veränderter Lebensmittel in die Europäische Union künftig erlaubt werden soll. Nicht nur aus industriepolitischer Sicht eine vernünftige Entscheidung, werden doch auf diese Weise zumindest einige Hemmnisse für die in Europa in letzter Zeit arg gebeutelte grüne Gentechnik aus dem Weg geräumt. Doch geht es nach der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, soll diese Lockerung für Deutschland nicht gelten. Die Begründung: So würden Transparenz und Wahlfreiheit der Verbraucher auf unzulässige Weise eingeschränkt. Die EU-Vorgabe mache es unmöglich zu erkennen, ob man wirklich ein gentechnikfreies Produkt kaufe oder nicht.
So weit, so gut? So schlecht. Denn der Haltung Ilse Aigners haftet ein nicht zu verkennendes Geschmäckle an. Die in der Pflanzenbiotechnologie involvierte Industrie hat überhaupt nichts gegen klare und ehrliche Kennzeichnungsregeln einzuwenden. Im Gegenteil: Echte Transparenz würde nämlich dafür sorgen, den Verbrauchern zu verdeutlichen, wie viel Gentechnik bereits in sogenannten „gentechnik-freien“ Produkten steckt. So unterliegen beispielsweise Zusatzstoffe generell nicht der Kennzeichnungspflicht. Ebenso fallen Produkte aus der konventionellen Nutztierhaltung weitgehend durch das Transparenz-Raster, sofern lediglich das Tierfutter gentechnisch veränderte Organismen enthält. All dies sollten die Verbraucher ruhig wissen. All dies würde dazu beitragen, Vorbehalte in der Öffentlichkeit abzubauen. Gleichzeitig würde Aigners Strategie als das entlarvt, was es ist: Aktionismus auf Kosten des Verbraucherschutzes.
Ohne jede Frage: Sich für einen umfassenden Verbraucherschutz einzusetzen, ist wichtig und richtig. Dazu gehört, die Bevölkerung nicht unnötigen Risiken auszusetzen. Doch nirgendwo ist die Schere zwischen dem gefühlten und dem tatsächlichen Risiko so weit wie bei der grünen Gentechnik. Trotz unzähliger wissenschaftlicher Studien gibt es nach wie vor keinen seriösen evidenzbasierten Nachweis etwaiger, durch gentechnisch veränderte Organismen verursachter Schäden! Wen wundert’s, schließlich passiert in der Pflanzenbiotechnologie nichts anderes als in der durch jahrhundertelange gärtnerische Praxis bewährten konventionellen Pflanzenzucht auch. Der Unterschied: Dank moderner Technologie gelingt es, die Ausleseprozesse zu beschleunigen und zu verfeinern.
Übrigens sind bislang kaum Beschwerden über den Einsatz der roten und weißen Gentechnologie zu vernehmen. Gerade die in der modernen Medizin immanent wichtige rote Gentechnik liefert den Patienten „handfeste“, begreifbare Vorteile. Dies zeigt, dass sich die persönliche Abwägung zwischen Nutzen und Risiko bei Verbrauchern keineswegs nach einheitlichen Kriterien richtet. Vielmehr spielt die subjektive Risikowahrnehmung eine zentrale Rolle. In diesem Punkt ist durchaus Selbstkritik angebracht. Denn die Industrie hat es versäumt, von Beginn an offen und transparent mit der Pflanzenbiotechnologie umzugehen. So wurde erst die Anhäufung unbegründeter, aber nun einmal vorhandener Vorurteile ermöglicht, die nur sehr schwer auszuräumen sind. Aus der Sicht der Verbraucher wiegt nichts stärker als das dumpfe Bauchgefühl, egal wie wissenschaftlich die Gegenargumentation geführt wird. Frau Aigners Ansinnen in allen Ehren, aber als oberste Verbraucherschützerin ist es nicht ihre Aufgabe, das dumpfe Bauchgefühl weiter zu füttern und damit die industrielle Forschungsbasis in Deutschland zu torpedieren.
Doch die im Bewusstsein der deutschen Bevölkerung scheinbar besonders verwurzelte Technologieskepsis darf über eines nicht hinwegtäuschen: Es geht mittlerweile um viel mehr als nur einen auf Deutschland beschränkten Trend. Überall in der EU werden Barrieren für die praktische Umsetzung der Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Pflanzenbiotechnologie hochgezogen. Das Resultat: Erst Anfang des Jahres hat die BASF die Unternehmenszentrale seiner Biotech-Sparte BASF Plant Science aus dem pfälzischen Limburgerhof in die USA verlegt. In Sachen grüne Gentechnik wird sich der Ludwigshafener Weltkonzern auf die Hauptmärkte in Nord- und Südamerika konzentrieren. Zugleich werden sämtliche Produkte gestoppt, die ausschließlich auf den europäischen Markt ausgerichtet sind.
Klar ist: Auch für die Zukunft bleibt die grüne Gentechnik eine Schlüsseltechnologie. Die Frage ist nur, wo diese Zukunft stattfinden wird. Wenn in weiten Teilen Europas die entsprechende Akzeptanz fehlt, darf es keinen verwundern, dass es aus unternehmerischer Sicht wenig Sinn ergibt, in Produkte zu investieren, deren Kommerzialisierung auf dem europäischen Markt permanent behindert wird.