Politik im Koalitionstaumel, Verbände in der Konsenspflicht
Die Kritik, der Staat sei fest im Griff der Verbände, gehört zum Standardrepertoire aufgeklärter Geister. Wer seit Bekanntgabe der Sparpläne der Bundesregierung genau zugehört hat, erkennt aber, dass die Verbände in turbulenten Zeiten ein stabilisierender Faktor sein können.
Klar geht es zur Sache. Dass die Arbeitnehmerseite die Kürzungen im Sozialbereich nicht unbesehen gut heißen kann, wen wundert es? Den Realisten ist – bei allem Protest – aber schon länger klar, dass das Ressort Arbeit und Soziales als größter Einzelhaushalt des Bundes einen erklecklichen Beitrag zum Sparpaket bringen muss.
Entschieden protestieren müssen aber alle Bürger gegen die Gleichung: Sparen kostet Rechtsstaatlichkeit! Die Rechtsstaatlichkeit geht jeden Bürger an.
Man kann nicht den wesentlichen Teil der Arbeitsmarktpolitik ins Ermessen von Sachbearbeitern stellen und dann befehlen: Nun spart mal schön! Mit einer derart inflationären Verwendung von Ermessensleistungen höhlt man den Rechtsstaat von innen aus. Während der Sachbearbeiter ohne Gesetzesregel, aber dafür mit dem schlechten Gewissen kämpft, ob seine Einzelfallentscheidung noch recht oder schon billig ist, verbucht das Finanzministerium bereits die pauschale Minderausgabe. Das darf nicht Schule machen. Die Beschleunigung des Vertrauensverlusts, der durch Sozialleistungsroulette droht, ist gar nicht zu unterschätzen. Schon jetzt ist klar: Hier drückt sich die Politik vor ihrer originären Verantwortung. Kein anderer als der Gesetzgeber ist dafür verantwortlich, mit klaren gesetzlichen Regeln nicht mehr finanzierbare Sozialleistungen zurückzuführen.
Wiederum wundert nicht, dass die Wirtschaft mit Lob geizte. Vielmehr wundert die Offenheit, mit der kaum verklausuliert Angebote bis hin zur Erhöhung des Spitzensteuersatzes gemacht wurden: Man wolle als Beitrag zur Krisenbewältigung vieles akzeptieren,
nur in Anbetracht des ohnehin schon komplexen Steuersystems nicht das Abdriften in den staatsinterventionistischen Abgabenstaat.
Nun kann man diese Kritik einerseits als dreist zurückweisen. Die vorgeschlagenen Abgaben für die Flugindustrie, die Banken und die Energiewirtschaft stünden doch ohnehin größtenteils unter dem Vorbehalt zumindest europapolitischer und -rechtlicher Machbarkeit. Außerdem bedeuteten sie ja zumindest im Fall der Atomindustrie im Klartext nur die Lizenz zum weiteren Gewinnmachen sowohl an den Strom- als auch an den Emissionsmärkten. Das Sparprogamm enthalte daher eine Gerechtigkeitslücke mit Ansage, denn auf der Seite der Wirtschaft sei es voller Luftbuchungen.
Meiner Ansicht nach liegt hier aber in der Besorgnis um einen nicht wieder gut zu machenden Verlust an Rechtsstaatlichkeit eine Schnittmenge. Die verantwortungsvollen Kräfte in beiden Lagern sollten sie gemeinsam nutzen. Ermessensleistungs- und Abgabenwirrwarr ist das Letzte, was wir in dieser Krise brauchen. Es geht um saubere Gesetze und klare Ansagen. Staatsausgaben runter, und – ja, das auch, wenn man ehrlich ist: Das Niveau der Staatseinnahmen darf in absehbarer Zeit zumindest nicht sinken!
Alles andere ist der heiße Flirt mit der Inflation.
Wenn die Koalition das nicht begreifen sollte, dann muss es ihr schließlich jemand sagen.
Ihr Thomas Fischer