Haircut für Griechenland?
Das Euro-Rettungspaket steht. Bis zu 750 Milliarden Euro Hilfen wurden zum Schutz des Euro auf den Weg gebracht: Nachvollziehbare Verteidigung der Währungsunion oder nicht tolerierbarer Verstoß gegen EU-Recht?
Dazu im Interview: Professor Dr. Dietrich Murswiek, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Öffentliches Recht der Universität Freiburg. Bei einer Sachverständigenanhörung zur Griechenlandhilfe Anfang Mai im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages sah Murswiek das Rettungspaket nicht durch den Lissabon-Vertrag gedeckt.
Epressung von Mitgliedsstaaten
VAA-Newsletter: Sie haben bei der Anhörung im Haushaltsausschuss am 5. Mai zu der Griechenlandhilfe starke Bedenken an der Europarechtskonformität der Hilfsmaßnahmen geäußert. Warum?
Murswiek: Die Griechenlandhilfe ist mit dem Bail-out-Verbot des Art. 125 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) unvereinbar. Nach dieser Bestimmung ist jeder Mitgliedstaat der Eurozone allein für seine Verbindlichkeiten verantwortlich. Weder die EU noch die anderen Mitgliedstaaten dürfen für solche Verbindlichkeiten einstehen. Diese Vorschrift ist von fundamentaler Bedeutung für die Preisstabilität im Euroraum. Wird sie nicht strikt eingehalten, dann können diejenigen Staaten, die eine unsolide Wirtschafts-, Haushalts- und Sozialpolitik betreiben, darauf spekulieren, von den anderen Mitgliedstaaten im Ernstfall schon herausgehauen zu werden. Sie können sich dann nach Belieben verschulden und die anderen Mitgliedstaaten erpresserisch unter Druck setzen mit dem Argument: Wenn ihr uns nicht helft, dann bricht alles zusammen. Wird aber – wie jetzt beschlossen – die Hilfe gewährt, dann stürzt dieser tragende Pfeiler der vertraglichen Stabilitätskonstruktion ein. Auch andere Mitgliedstaaten werden sich auf die Hilfe der Gemeinschaft verlassen und keinen Anreiz mehr sehen, nachhaltige Haushaltspolitik zu betreiben.
Europarecht beachten
VAA-Newsletter: Halten Sie die Argumentation der Bundesregierung, dass eine Verteidigung der eigenen Währung, nämlich des Euros, die Kredithilfe für Griechenland rechtfertige, für verfassungsrechtlich belastbar oder für konstruiert?
Murswiek: Europarechtlich ist sie nicht zutreffend, und die Verfassung verlangt auch die Beachtung des Europarechts.
VAA-Newsletter: In Anbetracht der sich zuspitzenden sozialen Konfliktlage in Griechenland, in Anbetracht aber auch der Gefahren für andere europäische Staaten, war die Bundesregierung nicht doch in einer Lage, in der kaum eine andere Entscheidung politisch verantwortbar war?
Murswiek: Es wäre verantwortlich und notwendig gewesen, auf einen geordneten „Haircut“ hinzuwirken, also auf eine Insolvenz Griechenlands, bei der die Gläubiger durch eine Kürzung ihrer Forderungen ihren Beitrag zur Lösung der Krise leisten. Das Rettungspaket ist ein Paket nicht zur Rettung Griechenlands, sondern zur Rettung der Banken, die in verantwortungsloser Weise auf die hohen Renditen griechischer Anleihen gesetzt und gleichzeitig darauf spekuliert haben, dass der Steuerzahler ihnen das Risiko abnimmt.
VAA-Newsletter: Erwarten Sie eine weitere Anpassung des Lissabonvertrages? Frau Merkel hat ja angekündigt, sich für die Beschränkung von Mitgliedschaftsrechten von EU-Mitgliedsstaaten einzusetzen, die dauerhaft gegen den Stabilitätspakt verstoßen.
Murswiek: Das wäre sinnvoll – ob auch politisch durchsetzbar, wird man abwarten müssen.
VAA-Newsletter: Kann das Resultat dieser Krise womöglich ein Schub für eine weitere Förderalisierung der EU sein oder ist nach Ihrer Ansicht eher zu erwarten, dass die Europäische Union zu einer Freihandelszone infolge dieser Krise herabsinkt?
Murswiek: Der neue Beschluss des Rates der Finanzminister vom 9./10. Mai über einen europäischen Stabilisierungsmechanismus geht klar in Richtung auf weitere Zentralisierung und in Richtung auf Entwicklung der Währungsunion zu einer Transferunion. Sarkozy schwärmt schon, man habe nun eine veritable europäische Wirtschaftsregierung. Das entspricht nicht der Konzeption des Vertrages. Ohne förmliche Vertragsänderung ist das rechtlich nicht möglich, und eine Vertragsänderung, die auf eine solche Umstrukturierung des Vertrages abzielte, könnte die Grenzen dessen überschreiten, was das Grundgesetz an europäischer Zentralisierung zulässt.