Neue Verlässlichkeit durch neue Kreisläufe?
Wunder geschehen, auch in Deutschland. Im Ergebnis zwar wenig überraschend, haben sich nun die bei der gefühlt zu lange zurückliegenden Bundestagswahl stark gerupften politischen Parteien der Mitte für eine dritte Auflage der Großen Koalition entschlossen. Für die Wirtschaft ist dies eine Entscheidung, die für verlässliche politische Rahmenbedingungen sorgen soll. Ob diese Erwartungen erfüllt oder die Ressourcen der eigentlich wider ihren Willen zur Hochzeit gezwungenen Partner doch früher erschöpft sein werden, steht auf einem anderen Blatt. Auch abseits der üblicherweise im medialen Fokus stehenden gesellschaftlichen Herausforderungen gibt es für die neue Bundesregierung eine Menge zu tun. Zwar ist der zur Verfügung stehende Verteilungsspielraum größer geworden, doch statt sich um ernsthafte Lösungen etwa bei der Haushaltskonsolidierung zu bemühen, sollen Probleme kurzfristig mit der Bereitstellung von frischem Geld übertüncht werden, ohne sie langfristig zu lösen.
In Sachen Innovation und Technologie braucht es dagegen wirklich dringend mehr Investitionen und eine bessere digitale Infrastruktur. Doch selbst die innovativsten Technologien und Produkte nützen am Ende wenig, wenn es an den dafür nötigen elementaren Rohstoffen mangelt. Dies ist eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Beispielsweise ist der Großteil der für die Produktion von Lithium-Ionen-Batterien wichtigen Kobaltreserven in politisch eher als instabil einzuschätzenden Ländern konzentriert. In der Gesamtbilanz betrachtet darf man die zum Teil katastrophalen soziale Bedingungen bei der Rohstoffförderung und die starke Umweltbelastung bei der Batterieherstellung nicht vergessen, ganz zu schweigen von der derzeit fehlenden Infrastruktur für Elektromobilität.
Rund vier Fünftel der gegenwärtig genutzten Kobaltkomponenten werden in China weiterverarbeitet. Erst Mitte März hat der chinesische Batteriehersteller GEM mit dem weltgrößten Rohstoffhändler Glencore einen Deal zur Abnahme eines Drittels der gesamten in den nächsten drei Jahren von Glencore gehandelten Kobaltmenge abgeschlossen. Gerade angesichts drohender Handelsturbulenzen zwischen den USA, der EU und China sind dies keine optimalen Aussichten für die wirtschaftliche Entwicklung in den Industrieländern. Ob beabsichtigt oder als Kollateralschaden in globalen Handelsscharmützeln: Auch die Chemieindustrie in Deutschland könnte dadurch in Geiselhaft genommen und nicht unerheblich in Mitleidenschaft gezogen werden. Verlässlichkeit ist für global agierende Unternehmen ein sehr hohes Gut, das leider zurzeit immer knapper zu werden scheint.
Um die künftige Innovationsfähigkeit nicht aufs Spiel zu setzen, bedarf es neben verlässlichen Partnern einer breiteren Aufstellung bei der Ressourcenverarbeitung. Hier setzt das Prinzip der Kreislaufwirtschaft an: Denn je mehr Rohstoffe aus alten Produktionsgütern wiederverwertet werden, desto niedriger wird die Abhängigkeit von Primärrohstoffen. Genau damit beschäftigt sich das <link http: cloud.duelberg.de data files vaa vaa_magazin_april_2018 external-link-new-window external link in new>Spezial im aktuellen VAA Magazin. Analysen zufolge könnte beispielsweise die Hälfte der von der deutschen Chemiebranche eingesetzten fossilen Rohstoffe wiederverwertet und in den Stoff- und Produktionskreislauf zurückgeführt werden. Es gilt also mehr denn je, neue Kreisläufe zu schaffen, um sich aus zu eng abgesteckten Rahmen zu befreien. Nur wer vorausschauend und proaktiv handelt, kann sich auch in Zukunft auf eine dynamische Entwicklung verlassen.
Rainer Nachtrab ist seit 2017
1. Vorsitzender des VAA.