Bundesarbeitsgericht: „in Vollzeit“ heißt 40 Wochenstunden
Fehlt es an einer ausdrücklichen arbeitsvertraglichen Bestimmung des Umfangs der Arbeitszeit, darf der durchschnittliche Arbeitnehmer die Klausel, er werde „in Vollzeit“ beschäftigt, so verstehen, dass die regelmäßige Dauer der Arbeitszeit 40 Wochenstunde
Ein Arbeitnehmer hatte nach dem Ende seines Beschäftigungsverhältnisses von seinem ehemaligen Arbeitgeber die Vergütung von Überstunden verlangt. Laut Arbeitsvertrag war er „in Vollzeit" beschäftigt gewesen. Der Arbeitnehmer legte für einen Zeitraum von zehn Monaten Beginn und Ende seiner täglichen Arbeitszeit dar und verrechnete diese Stunden mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden und einer täglichen Pausenzeit von einer Stunde. Im Ergebnis kam er auf rund 650 Stunden Mehrarbeit, für die er eine Vergütung verlangte. Der Arbeitgeber vertrat hingegen die Auffassung, dass der Arbeitnehmer als Arbeitszeit die Zeit geschuldet habe, die er für die Erledigung der ihm zugewiesenen Arbeiten benötigte. Zudem seien im Durchschnitt allenfalls 8,5 Arbeitsstunden pro Arbeitstag angefallen. Das Arbeitsgericht wies die Klage des Arbeitnehmers ab. Das Landesarbeitsgericht(LAG) gab der Klage in der Berufung teilweise statt und sprach dem Arbeitnehmer eine Vergütung für eine halbe Überstunde pro Arbeitstag zu. Dabei schätzte das LAG den Umfang der Mehrarbeit unter Anwendung von § 287 ZPO. Dagegen wandte sich der Arbeitgeber in der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG). Das Landesarbeitsgericht sei zu Unrecht von einer Normalarbeitszeit von 40 Wochenstunden ausgegangen und die vorgenommene Schätzung von § 287 Absatz 2 Zivilprozessordnung sei nicht gedeckt.
Das BAG gab in seiner Entscheidung dem Arbeitnehmer erneut teilweise recht (Urteil vom 25. März 2015, Aktenzeichen: 5 AZR 602/13). Die Erfurter Richter verwiesen darauf, dass die Bestimmungen des fraglichen Arbeitsvertrages wie Allgemeine Geschäftsbedingungen zu beurteilen seien. Nach den dafür geltenden Grundsätzen sei die Formulierung „in Vollzeit beschäftigt" mangels einer genauen Vereinbarung der Wochenstundenzahl mit einer 40-Stunden-Woche gleichzusetzen. Denn der durchschnittliche Arbeitnehmer dürfe „in Vollzeit" so verstehen, dass die regelmäßige Dauer der Arbeitszeit – unter Zugrundelegung einer Fünf-Tage-Woche und der im Arbeitszeitgesetz vorgesehenen acht Stunden arbeitstäglich – 40 Wochenstunden nicht übersteigt. Wenn mit der Formulierung „in Vollzeit" dagegen die nach geltendem Recht zulässige Höchstgrenze der Arbeitszeit ganz oder teilweise ausgeschöpft werden solle, müsse dies durch eine konkrete Stundenangabe oder zumindest eine hinreichend bestimmte Bezugnahme klar und deutlich zum Ausdruck gebracht werden.
§ 287 Zivilprozessordnung:
Schadensermittlung; Höhe der Forderung
Absatz 1: Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. […]
Absatz 2: Die Vorschriften des Absatzes 1 […] sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.
Die Annahme des Arbeitgebers, als Arbeitszeit sei die Zeit geschuldet gewesen, die der Arbeitnehmer für die Erledigung der ihm zugewiesenen Arbeiten benötigte, wiesen die BAG-Richter als unzutreffend zurück. Da somit aus Sicht des BAG feststand, dass Überstunden auf Veranlassung des Arbeitgebers geleistet wurden, erklärte es auch die Schätzung des Überstundenumfangs durch das LAG für zulässig. Die Orientierung des LAG an der Schätzung des Arbeitgebers, wonach der Arbeitnehmer täglich 8,5 Arbeitsstunden geleistet hatte, sei keineswegs willkürlich gewesen.
VAA-Praxistipp:
Wer über das arbeitsvertraglich vereinbarte Maß hinaus auf Veranlassung des Arbeitgebers arbeitet, hat Anspruch auf Überstundenvergütung. Allerdings muss der Arbeitnehmer darlegen und beweisen können, dass er die Überstunden tatsächlich geleistet hat und die Überstundenleistung vom Arbeitgeber veranlasst war. In Zweifelsfällen sollten Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten und die entsprechenden Arbeitsanweisungen deshalb so genau wie möglich dokumentieren. Wenn feststeht, dass Überstunden geleistet wurden, der Arbeitnehmer seiner Darlegungs- und Beweislast über deren Umfang aber nicht nachkommen kann, darf das Arbeitsgericht einen Mindestumfang schätzen. Dies hat das BAG mit seinem Urteil klargestellt.