Energiepolitik: Posse um Gas und Trasse
Im bayrischen Irsching steht das modernste Gaskraftwerk Europas. Sein Betreiber – der Energiekonzern E.ON – preist seinen "weltweit höchsten Wirkungsgrad" von über 60 Prozent an. Und drohte in der vergangenen Woche prompt damit, das Kraftwerk mangels Rentabilität vom Netz zu nehmen. Was absurd klingt, ist letztlich die Folge des Ausbaus der Erneuerbaren Energien und des damit einhergehenden Preisrückgangs an den Strommärkten.
Diese Entwicklung bringt Gaskraftwerke – die anders als die Kohleverstromung preislich nicht von einem billigen Energieträger und größtenteils abgeschriebenen Kraftwerken profitieren können – an die Grenzen der Rentabilität. Auf der anderen Seite weisen Gaskraftwerke neuerer Bauart im Vergleich zur Kohleverstromung nicht nur eine deutlich bessere Klimabilanz auf, sondern sind auch flexibler einsetzbar. Das macht sie zu einem potenziell wichtigen Baustein der Energiewende. Die großen Energiekonzerne fordern deshalb schon länger die Einführung so genannter Kapazitätsmärkte. Dann würde nicht mehr allein für produzierten Strom Geld fließen, sondern auch für bereitgehaltene Produktionskapazitäten.
Dass nun explizit die Stilllegung des "Flaggschiffes" unter den Gaskraftwerken im Raum steht, ist wohl ebenso wenig Zufall wie der Umstand, dass dieses Kraftwerk in Bayern steht und für die dortige Stromversorgung durchaus relevant ist. Denn der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer gilt – anders als Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel – als Befürworter der Kapazitätsmärkte. Und er hat derzeit damit zu kämpfen, dass der Bau der für die Energiewende notwendigen Stromtrassen in Bayern am Widerstand der Bürger zu scheitern droht.
Die von E.ON angedrohte Abschaltung des Irschinger Kraftwerkes dürfte ihm da als Steilvorlage gerade recht kommen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Die Energiekonzerne haben Interesse an der schnellen Einrichtung von Kapazitätsmärkten. Das liegt auf der Hand. Horst Seehofer hätte lieber auf diesem Weg finanzierte Gaskraftwerke als die ungeliebten Stromtrassen in Bayern. Das ist ebenso nachvollziehbar. Mit Blick auf das große Ganze gilt es aber zu bedenken, dass die voreilige Einführung von Kapazitätsmärkten leicht zu höheren Strompreisen für die Endverbraucher führen könnte.
Die Chemieunternehmen in Deutschland können von den günstigeren Notierungen an den Strombörsen kaum profitieren, weil sie sich für die benötigte Planbarkeit an länger laufende Terminkontrakte binden. Wenn nun noch Mehrkosten für Kapazitätsmärkte hinzukommen, die wir angesichts bestehender Überkapazitäten bei den konventionellen Kraftwerken gar nicht brauchen, wird das dem Industriestandort Deutschland schaden. Darauf hat der derzeitige Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie Marijn Dekkers bereits Anfang März in seinem Gastbeitrag für das Handelsblatt zu Recht hingewiesen. Und angedrohte Kraftwerksabschaltungen ändern daran nichts.
Dr. Thomas Fischer ist seit 2002
1. Vorsitzender des VAA.