Krisenvermeidung durch Inflation
Kehren höhere Inflationsraten zurück, weil die großen Zentralbanken das Ziel der Geldwertstabilität aufweichen?
Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise hat aufgezeigt, wie begrenzt das Instrumentarium zur Krisenbekämpfung und -prävention ist, das Regierungen und Zentralbanken zur Verfügung steht. Der Internationale Währungsfonds (IWF) unter der Führung seines französischen Chefs Dominique Strauss-Kahn hat die Gelegenheit genutzt, um kürzlich einen geradezu revolutionären Vorschlag zur Vorbeugung zukünftiger Finanzkrisen zu lancieren: Um in Krisenzeiten mehr Spielraum für Zinssenkungen zu gewinnen, sollten Zentralbanken ihre Inflationsziele von derzeit durchschnittlich zwei auf vier Prozent anheben. Laut IWF-Chefvolkswirt Olivier Blanchard würden die Vorteile eines erhöhten monetären Handlungsspielraumes die wirtschaftlichen Nachteile einer höheren Inflation klar überwiegen. Wenn, wie Blanchard anregt, die Regierungen zudem noch auf ein inflationsneutrales Steuersystem hinarbeiteten, fiele die Kosten-Nutzen-Rechnung zugunsten höherer Inflationsziele noch deutlicher aus.
Außergewöhnliche Krisen – außergewöhnliche Maßnahmen
Was bewog den IWF, vom jahrzehntelang propagierten Primat der strikten Inflationsbekämpfung abzukehren? Der Ablauf der jüngsten Finanzkrise mag als Erklärung dienen: Krisen wie diese passen in kein vorhandenes Schema und können daher nur mit außergewöhnlichen Maßnahmen bekämpft werden. Zum Zeitpunkt des Ausbruchs der Krise waren die Inflationsraten und Zinssätze niedrig. Dadurch hatten die Zentralbanken nicht genug Möglichkeiten, den wirtschaftlichen Abschwung monetär abzufedern. Als die Zinssätze nahe Null gesunken waren, blieb nur noch das in der Praxis kaum erprobte Mittel der Quantitativen Lockerung zur Lösung der drohenden Kreditklemme: Zahlreiche Zentralbanken kauften Wertpapiere und Staatsanleihen in großem Stil auf, um die „virtuell“ verfügbare Geldmenge zu vergrößern. Die US-Notenbank scheute sich auch nicht vor dem „physischen“ Anwerfen der Notenpresse. Auf der anderen Seite waren die Regierungen gezwungen, massive Konjunkturpakete zu schnüren und damit sämtliche Bemühungen um Haushaltsdisziplin hintenan zu stellen.
Die Folge: Staatsschulden wurden exorbitant aufgebläht, Konjunkturimpulse verpuffen weitgehend wirkungslos und mittelfristig droht auch eine erheblich höhere Inflation. Diese würde zwar die Schuldenlast lindern, aber den Konsum und das Verbrauchervertrauen entscheidend schwächen. Durch eine Festsetzung höherer Inflationsziele, so die Argumentation der IWF-Strategen, könne man derartigen Entwicklungen vorbeugen.
Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel
Auf den IWF-Vorschlag folgte ein Sturm der Entrüstung. Kritiker – EZB, Bundesbank und zuletzt auch Paul Volcker, einer von Obamas Chefberatern in der Finanzkrise – warnen vor nicht abschätzbaren Risiken höherer Inflationsziele für die Preisstabilität. Gerade in Deutschland, wo die Weimarer Inflation als Trauma tief im kollektiven Gedächtnis verwurzelt ist, wäre ein solcher Schritt nicht zu vermitteln. Höhere Inflationsziele setzen den Hebel bei den Symptomen der Finanzkrise an, nicht bei ihren strukturellen Ursachen. Des Weiteren stünde nicht weniger als die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken auf dem Spiel, die über zwanzig Jahre hinweg an einem Inflationsziel von 2 % festgehalten haben. Sind doch Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit die Grundvoraussetzungen für eine effektive monetäre Bekämpfung zukünftiger Krisen.
Der IWF-Vorschlag ist denn auch im derzeitigen Stadium nicht als Handlungsvorgabe, sondern eher als Gedankenexperiment zu verstehen. Er provoziert und regt zur Diskussion an. Zumal diese über lange Zeit in den 70er Jahren vom sogenannten Phillips-Theorem beeinflusst wurde. Danach sank die Arbeitslosigkeit mit moderat steigenden Inflationsraten, weil Investitionen letztlich für billiges Geld leichter unternommen wurden.
Auf der Suche nach Auswegen aus der Krise muss man zuweilen mit gängigen Konventionen brechen. In diesem Fall jedoch, da ist sich die Mehrzahl der Experten einig, würde ein solcher Bruch mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen.