Führung in Zeiten der Furcht
„So viele Krisen wie heute gab es zuletzt in meiner Jugend“, sagt Karl-Ludwig Kley, der scheidende Chef des Pharmakonzerns Merck. Fast zehn Jahre hat der 64-jährige mit ruhiger Hand das älteste Pharmaunternehmen der Welt gelenkt. Und er hat so viel gesehen und erlebt, dass er vergleichen und urteilen kann. „Wir haben es mit grenzenlosen Krisen, rücksichtslosen Störenfrieden und hilflosen Ordnungshütern zu tun“, urteilt auch Wolfgang Ischinger, der Vorsitzende der gerade zu Ende gegangenen Münchnern Sicherheitskonferenz. Syrienkrieg, Flüchtlingswelle, angeschlagene Weltwirtschaft sind nur die bekanntesten Stichworte, wenn es darum geht, die aktuellen Krisenherde zu benennen. Wie kann und wie soll man in solchen Zeiten in Politik und Wirtschaft führen?
Idealerweise respektieren in der Politik die Regierenden den „Willen des Volkes“ als Grundlage des politischen Handelns. In der Wirtschaft entsteht im Idealfall aus einer guten Unternehmenskultur eine Führungskultur, mit der sich die Unternehmung über das vertrauensvolle Verhältnis zu den Mitarbeitern erfolgreich im Wettbewerb behauptet. Doch was für die Politik gilt, scheint auch für die Unternehmen zu gelten: In globalen und digitalisierten Zeiten scheinen die Bindekräfte zu schwinden. Bürger verlieren zunehmend Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung an Expertengremien, Lobbygruppen und Massenmedien. Die Mitarbeiter riskieren im schnellen Wandel, den Überblick über das unternehmerische Geschehen im Ganzen zu verlieren. Und damit die Identifikation mit „ihrem“ Unternehmen.
Hier wie da scheint jedenfalls in Krisenzeiten das Bedürfnis nach Führung zu wachsen. Während kluge politische Führung in demokratischer Verantwortung Entscheidungen fällt, diese umsetzt und sich dabei der permanenten Kritik von Opposition und Zivilgesellschaft stellt, ruht kluge wirtschaftliche Führung auf klarem, transparentem Handeln und der partizipatorischen Einbindung der Mitarbeiter. In der Politik ist es niemals einfach, in Zeiten der Erschütterungen vor populistischen Antworten geschützt zu seinen. Ob Links- oder Rechtspopulismus oder ganz einfach nur Populismus im Sinne eines Donald Trump: die Stunde der Verführer schlägt in prekären Zeiten.
Das gilt auch für die Wirtschaft. Ihre Lage ist, weltweit betrachtet, so fragil wie lange nicht. China, Ölpreis, Russland: die Unternehmen müssen befürchten, durch die aktuellen geopolitischen Konflikte in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Gute Führung in der Wirtschaft ist gefragt. Sie wird noch viele Jahre eines der wichtigsten Themen sein, über die sich die Unternehmen ihre Zukunftsfähigkeit sichern.
Dr. Thomas Fischer ist seit 2002
1. Vorsitzender des VAA.