Europa: Schmerzhafter Warnschuss aus der Schweiz
Das Ergebnis war knapp, als Signal ist es dennoch verheerend: Anfang Februar haben die Schweizer in einer Volksabstimmung mit einer hauchdünnen Mehrheit für eine Begrenzung der Zuwanderung gestimmt. Wenige Monate vor der Europawahl erhalten rechtskonservative und nationalistische Parteien in der EU dadurch Rückenwind für ihre europafeindlichen Parolen.
Einmal mehr hat sich an dem Schweizer Referendum gezeigt, dass die europäische Idee unter einer zweigeteilten Wahrnehmung der Bürger leidet: Als Ursache für Probleme – in der Schweiz sind es unter anderem Arbeitslosigkeit, steigende Mieten, Verbauung der Landschaft, Lohndruck und Kriminalität – kommt Europa als Sündenbock gelegen. Die großen ökonomischen Vorteile der europäischen Integration werden dagegen allzu leicht ausgeblendet.
Offenbar haben sich viele Schweizer von der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei vorgaukeln lassen, sie könnten den ungeliebten Zuzug aus dem Rest Europas stoppen und ansonsten alles beim Alten belassen. Dass eine solche Rosinen-Pickerei ausgeschlossen ist, zeigt ein Blick in die Verträge. Denn als die Schweiz das Freizügigkeitsabkommen mit der EU schloss, wurden im gleichen Zug sechs weitere Abkommen unterzeichnet, die eine Ausdehnung weiter Teile der EU-Binnenmarktregeln auf das Nicht-EU-Mitglied Schweiz beinhalten. Dazu gehören die gegenseitige Anerkennung von Industriestandards, aber auch der Zugang von Schweizer Fluggesellschaften zum EU-Luftverkehrsmarkt und die gegenseitige Öffnung des Straßen- und Schienennetzes. Und die sogenannte Guillotine-Klausel in den Verträgen hat zur Folge, dass die Kündigung eines Vertrages automatisch zur Kündigung der anderen Abkommen führt.
Das Referendum über die Freizügigkeit war insofern auch eine Abstimmung über die zukünftigen Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und dem Rest Europas. Das war vielen Zuwanderungsgegnern in der Schweiz offenkundig nicht bewusst, anders ist das Abstimmungsergebnis kaum zu erklären.
An der Vermittlung solcher Zusammenhänge scheitern aber nicht nur die gemäßigten Parteien in der Schweiz, die nun vor der denkbar schwierigen Aufgabe stehen, die Kuh durch Verhandlungen mit der EU wieder halbwegs vom Eis zu holen. In Großbritannien, in den Niederlanden und etlichen anderen Ländern Europas verfängt schlichte Anti-EU-Rhetorik ebenfalls bei einer steigenden Zahl von Bürgern. Das gilt auch für Deutschland, wo vor allem die wenig überzeugende Vermittlung der Euro-Rettungspolitik Protest-Parteien wie der AfD Auftrieb verschafft hat.
Die Politiker in allen Ländern Europas wären deshalb gut beraten, den Warnschuss aus der Alpenrepublik ernst zu nehmen und daraus ihre Lehren zu ziehen. Es gilt, für die Vorteile Europas zu werben und gleichzeitig die Sorgen und Ängste der Menschen ernst zu nehmen. Und als Führungskräfte im größten Land Europas müssen wir dazu unseren Beitrag leisten. Der VAA und die anderen Führungskräfteverbände der ULA bekennen sich seit jeher eindeutig zur europäischen Integration und werden dies auch weiterhin tun.