Ist die Globalisierung am Ende?
Vor nicht allzu langer Zeit hätte man diese Frage mit einem einfachen Nein sofort und abschließend beantworten können. Zu lange reicht die Geschichte der weltwirtschaftlichen Verknüpfungen zurück. Zu unaufhaltsam schien die Globalisierung nach dem Fall der Berliner Mauer zu sein. Sie wurde sogar zum Epochenbegriff. Internationale wirtschaftliche Arbeitsteilung schien nur noch technischen und geografischen Gegebenheiten zu folgen, nicht aber mehr willkürlich gezogenen politischen Barrieren.
Der Welthandel, also der Austausch von Waren und Dienstleistungen, wuchs in den letzten fünf Jahrzehnten fast doppelt so schnell wie die Wirtschaft. Der internationale Austausch gedieh, Kapitalverflechtungen nahmen zu. Jedes produzierte Gut enthielt immer mehr Komponenten aus anderen Ländern, die Produktion wurde international immer stärker aufgefächert. Das genau ist Globalisierung. Wer oder was wollte diese Entwicklung stoppen? Jedenfalls nicht diese Gruppen von Gegnern, die sich über Lohn-, Steuer- oder Währungsdumping aufregten oder gegen Handelsabkommen wie TTIP, Ceta oder TPP wetterten. Sie wurden nicht wirklich ernst genommen, die Globalisierung ging einfach weiter.
Doch hat sich in der Zwischenzeit etwas geändert, von dem man noch nicht weiß, ob es sich hierbei um den Hinweis auf ein Ende oder nur auf eine Pause der Globalisierung handelt. Gegner der Globalisierung wie Donald Trump oder rechtspopulistische Parteien haben Wahlsiege errungen oder großen politischen Einfluss erlangt. In Großbritannien kam es zur Brexit-Entscheidung. Identitäts- und Systemkämpfe sind wieder aufgeflackert. Die politische Entschlossenheit, heimische Produzenten vor internationaler Konkurrenz zu schützen, hat zugenommen. Wenn man der Auffassung ist, dass viele politische Bewegungen zum großen Teil Ausdruck wirtschaftlicher Veränderungen sind, so ist die erstmalige Verlangsamung des internationalen Handels seit der Finanzkrise ein klares Zeichen. Der Welthandel wächst nicht mehr schneller als die Weltproduktion, zum ersten Mal seit 50 Jahren.
Dafür gibt es viele Gründe. Manche davon sind schlicht und einleuchtend. Alle Produktion, die international rentabel ver- und ausgelagert werden konnte, ist ausgelagert. Mehr lohnt sich für die Firmen nicht. In China ist die Phase der raschen Industrialisierung vorbei. Diverse Märkte sind gesättigt. Die Investitionsdynamik lässt nach. Andere Gründe sind vielschichtiger und werden in Wissenschaft und Finanzbranche noch kontrovers diskutiert. So könnte technologischer Fortschritt und Digitalisierung ebenfalls für ein Einbremsen der Globalisierung sorgen. Hochtechnologische und digitalisierte Produktion kann in manchen Branchen komplett ohne menschliche Arbeitskraft auskommen. Roboter stellen Schuhe billiger her als Arbeiter in Vietnam. Von den Möglichkeiten des 3D-Druckverfahrens soll hier noch gar nicht gesprochen werden.
Die kommenden Jahre werden zeigen, wie und in welche Richtung sich die Weltwirtschaft entwickelt. Ökonomen warnen zu Recht vor Abschottung und weisen darauf hin, dass eine offene Weltwirtschaft wohlstandsfördernd ist. Die massive Ausweitung des internationalen Handels hat global und in Deutschland zu großen Effizienz- und Wohlstandssteigerungen geführt und die weltweite Armut merklich reduziert. Auch in Zukunft dürfte es von Vorteil für die Volkswirtschaften sein, weitere Potenziale der Handelsliberalisierung und eine Form der Globalisierung zu finden, von der alle profitieren.
Gerhard Kronisch, Hauptgeschäftsführer des VAA